"Die Bluter und ihr starkes Beispiel" - Ein Artikel des Rheinischen Merkurs.
von Eckart Klaus Roloff
"Es wäre schön, wenn es Ihren Verein nicht geben müsste, aber es ist so gut, dass es ihn gibt" -so lobt Bärbel Dieckmann, die Bonner Oberbürgermeisterin, eine Gruppe, die eine tödliche Bedrohung zusammengeführt hatte. Vor zehn Jahren bildete sich in Bonn die Interessengemeinschaft Haemophiler, weil ein grausiger Verdacht wahr geworden war: Viele der Gerinnungsmittel, die Bluter benötigen, enthielten Aidsviren.
Damit begann nicht nur eine entsetzliche Leidensgeschichte mit zahlreichen Todesopfern, sondern auch ein jahrelanger Streit um Aufklärung und Entschädigung, mit vielen Prozessen und Demonstrationen. Hier die Bluter, dort deren Ärzte, die Pharmafirmen, das DRK, die Gesundheitsministerien, etliche Anwälte und wenige Politiker, die sich der Sache annahmen - die Fronten waren scharf und klar. Unsere Zeitung hat, so gut sie konnte, davon berichtet und auf Einigung gedrängt.
Im Juli 1995 trat endlich ein Gesetz in Kraft, das Entschädigungen möglich machte. Seit-, dem haben 691 direkt betroffene Bluter Geld erhalten- doch 190 sind inzwischen gestorben. Vielen der Überlebenden und Sterbenden samt deren Familien hat die damals entstandene Gruppe um Wilfried Breuer und Günter Schelle dennoch helfen können, durch Kampf, Rat und Trost. Und das alles ohne Millionengelder und ohne die Promis, die sich nur für "richtige" Aidskranke engagieren.
Und nun, zehn Jahre später, dies: Der Verein, von 13 Personen gegründet, umfasst knapp 700 Mitglieder. Und ein Festabend führt die Kontrahenten von damals zusammen und demonstriert etwas anderes: Trotz der harten Vergangenheit gibt es Verständigung. Der Streit ist nicht vergessen, das ist unmöglich, aber für viele ist er überwunden. Die Patienten, die Ärzte, die Pharmafirmen wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind. Man sitzt aber nicht nur für Festreden zusammen. Der anschließende Patiententag informiert über Neuigkeiten, die für Bluter wichtig sind.
Diese Bluter geben ein Beispiel.
Es gibt so viele andere Medizinopfer, die nur zusammen zu einem Faktor werden und
Aufklärung schaffen, nur gemeinsam Urteile,
Entschädigungen und bessere Vorschriften erreichen. Damit
dienen sie der Medizin insgesamt.
Da sind die rund 200 Frauen, bei denen der Essener Pathologe Josef
Kemnitz (er hat sich inzwischen selbst getötet) zu einer
falschen Brustkrebsdiagnose kam, sodass überflüssige
Amputationen folgten. Da gibt es etwa 1600 Anträge von
Bundeswehrsoldaten, die seit langem Wiedergutmachung für
Radarstrahlenschäden fordern, doch Minister Scharping weigert
sich trotz vieler Versprechen, die Sache zu klären. "Das
Ministerium zeigt uns immer wieder, als wie lästig und
überflüssig es das Radarthema ansieht", sagt ein
Betroffener.
Da werden Kumpel, die sich unter Tage eine schwere Bronchitis
holten, durch rechtswidrige Stichtage so ausgetrickst, dass sie
keine Berufsschadenrente erhalten. Und Mütter, die in der DDR
um 1978/79 durch ein Mittel, das Hepatitis-C- Viren enthielt,
schwer leberkrank wurden, müssen sich von
Versorgungsämtern und Gerichten hinhalten lassen.
Anderen geht es besser: Wird in der Landwirtschaft gesündigt oder eine Tierseuche gemeldet, wird sofort ein Millionenfonds zum Entschädigen gefordert. Mit Aussicht auf Erfolg.