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Stellungnahme des Vorstandes der Interessengemeinschaft Haemophiler e.V. zu Klagen vor US-Gerichten

Stellungnahme des Vorstandes der Interessengemeinschaft Haemophiler e.V. zu Klagen vor US-Gerichten von Patienten, die durch Gabe von Faktor-Konzentraten mit Hepatitis C infiziert wurden.

An die
Mitglieder der
Interessengemeinschaft Haemophiler e.V.

Bonn, 26. November 2003

 

Stellungnahme des Vorstandes der Interessengemeinschaft Haemophiler e.V. zu Klagen vor US-Gerichten von Patienten, die durch Gabe von Faktor-Konzentraten mit Hepatitis C infiziert wurden.

Im Juni 2003 hatten wir unsere Mitglieder über Presseveröffentlichungen unterrichtet, dass eine US-Kanzlei Klage vor einem Bezirksgericht in Kalifornien gegen amerikanische Hersteller von Faktorenkonzentraten erhoben habe. Kläger seien Bluter außerhalb der USA, die durch Viren-kontaminierte Blutprodukte mit HIV und/oder HCV infiziert wurden. Unter anderem seien auch Kläger aus Deutschland darunter.

Um die Klagemöglichkeiten für die eigenen Mitglieder zu prüfen, nahm die IGH unverzüglich mit der US-Anwaltskanzlei Lieff Cabraser Kontakt auf und erfuhr, dass Kläger aus Deutschland, Großbritannien und Italien vertreten wurden, die nicht wegen ihrer HIV-Infektion klagten, die in der Vergangenheit durch Vereinbarungen mit dem Bund und anderen Verursachern verglichen worden waren, sondern wegen der nicht entschädigten Hepatitis-C-Erkrankungen.

Lieff Cabraser empfahl der IGH, wegen Abklärung weiterer Fragen mit der deutschen Anwaltskanzlei Witti & Partner in Berlin Kontakt aufzunehmen, die für Lieff Cabraser die deutschen Kläger vertreten sollte. Leider kam bis auf zwei persönliche Telefonate mit Anwalt Witti kein weiterer Kontakt zustande, die Ursache hierfür war alleine in der Kanzlei Witti zu suchen.

Inzwischen war auch die Deutsche Hämophiliegesellschaft aktiv geworden und informierte ihre Mitglieder mit Schreiben vom 25.07.2003 über ihre Kooperation mit Lieff Cabraser und die Klagemöglichkeiten. Um einen möglichst großen Klägerkreis zu erreichen, wurde die IGH seitens der DHG gebeten, ihre Mitglieder ebenfalls über die Klagemöglichkeiten zu informieren.

Der Vorstand der IGH möchte Sie, liebe Mitglieder über die Hintergründe, Erfolgsaussichten und mögliche Risiken einer Klage vor US-Gerichten unterrichten. Es bleibt jedem Mitglied selbst überlassen, zu entscheiden, ob die Klagevoraussetzungen bei ihm vorliegen und er/sie sich einer Sammelklage anschließen möchte.

Wir haben in der Zwischenzeit auf Empfehlung der Deutschen Hämophiliegesellschaft mit der Anwaltskanzlei von Bock in Köln Kontakt aufgenommen, weil diese Kanzlei inzwischen die von Lieff Cabraser offiziell favorisierte deutsche Vertretung ist.
Wir haben die Rechtsanwälte um eine Stellungnahme für unsere Mitglieder gebeten und möchten diese nachfolgend wiedergeben:

Klagevoraussetzungen

  1. Zunächst darf die erste Anwendung von Gerinnungspräparaten nicht vor dem 01.01.1978 stattgefunden haben. Wenn Sie nicht sicher sind, wann Sie das erste Mal Gerinnungsfaktor gespritzt haben, überprüfen Sie Ihre Substitutionsprotokolle bzw. stimmen sich mit Ihrem Hämophiliebehandler ab.
    Sollte der Nachweis der ersten Gabe von Faktorenkonzentrat nicht mehr durch Dokumentation nachweisbar sein, so wird es in vielen Fällen darauf ankommen, dass -möglichst durch eidesstattliche Erklärung von Angehörigen und/oder anderen Zeugen unter Angaben von Einzelheiten- belegt/plausibel gemacht wird, dass es zwischen der Geburt -insbesondere dem Anlass und Zeitpunkt der Diagnose des Gerinnungsleidens -und dem 01.01.1978 nicht zur Verabreichung von Gerinnungspräparaten gekommen ist.
    Vereinzelte Bluttransfusionen bzw. Gaben von Cryos, Fresh Frozen Plasma, Frischplasma oder Cohnsche Fraktionen wären (nach dem gegenwärtigen Diskussionsstand) allerdings kein absolutes Hindernis, auch wenn sie vor dem 01.01.1978 verabreicht worden sind. Dann müssten aber die US-Anwälte dazu Mengenangaben haben, um im Einzelfall entscheiden zu können, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich eine vor dem 01.01.1978 erfolgte HCV-Infektion (die gewöhnlich ja erst Jahre später festgestellt wird) ist.
  2. Das Präparat, das die Infektion hervorgerufen hat, muss in den USA produziert bzw. aus amerikanischem Plasma hergestellt worden sein, zumindest muss aber die Herstellerfirma ihren Sitz oder eine Niederlassung zum Zeitpunkt der Produktion in den USA gehabt haben.

Klagerisiken, Erfolgsaussichten und mögliche Kosten für die Kläger

  1. Die Risiken liegen eigentlich nur bei der amerikanischen Anwaltskanzlei, deren Aufwand an Kosten und Zeit bei ausbleibendem Erfolg nicht kompensiert wird. Daraus darf man im Umkehrschluss folgern, dass hinreichend Erfolgsaussichten bestehen.
  2. Kosten fallen für die Kläger überhaupt erst im Erfolgsfall an und werden von den Entschädigungsbeträgen abgezogen (maximal 50%).
  3. Im Falle einer vorzeitigen Mandatsbeendigung beansprucht die US-Kanzlei nur eine Kompensation ihres Aufwandes (wobei sich zur Höhe so abstrakt kaum etwas sagen lässt), wenn es auf Grund der von ihr eingeleiteten Klage letztendlich (auch ohne ihre schlussendliche Mitwirkung) zu einer Entschädigungszahlung für den Kläger kommt.
    Was passiert, wenn der Kläger die Klage zurückzieht, weil er anderweitige Zahlungen (z.B. in Deutschland durch einen Entschädigungsfonds) erlangt und die beklagte Firma in den USA hierzu nicht beigetragen hat, müsste noch geklärt werden.
  4. Amts- und Arzthaftungsklagen sind -so selten hierfür Erfolgsaussichten denkbar sind- neben der US-Herstellerklage ohne Einschränkung möglich. Auswirkungen auf die Entschädigungshöhe können nicht ausgeschlossen werden bzw. wären normal. Das bedeutet, dass bei einer erfolgreichen Klage in Deutschland die hieraus resultierenden Zahlungen auf die US-Klage angerechnet werden. Gleiches gilt auch für allgemeine Entschädigungsregelungen, wobei die Kanzlei von Bock davon ausgeht, dass diese im Gegensatz zu den von der US-Kanzlei erreichbaren Entschädigungsbeträgen eher bescheiden ausfallen würden.

Persönliches Erscheinen der Kläger vor US-Gerichten

Hiesige Kläger bzw. Zeugen werden aller Wahrscheinlichkeit nach, wenn überhaupt, dann im Wege der Amtshilfe vor ersuchten Richtern hierzulande angehört bzw. vernommen. Anfallende Kosten würden durch die US-Kanzlei übernommen.

Versterben der Kläger während der Klage, mögliche Kosten, Fortführung der Klage durch Hinterbliebene

Sollte der Kläger während des Klageverfahrens versterben und die Angehörigen/Erben die Klage abbrechen wollen, kann die US-Kanzlei wiederum eine Kompensation ihres Aufwandes verlangen, wenn es auf Grund der von ihr eingeleiteten Klage zu einer Entschädigungszahlung für den (verstorbenen) Kläger kommt.
Ob die Erben einen bereits eingeleiteten Rechtsstreit, wie dies bei uns der Fall ist, auch nach amerikanischem Recht fortsetzen können, müsste noch geklärt werden.

Zusammenfassend lässt sich folgendes Hauptproblem festhalten:
  • Der Betroffenenkreis, der klagen könnte, ist stark eingeschränkt. Sämtliche infizierten Bluter, die vor dem 01.01.1978 mit HCV infiziert worden sind bzw. vor dem 1.1.1978 durch Gerinnungspräparate infiziert worden sein könnten (dies dürfte der überwiegende Teil sein), fallen von vorneherein raus.
  • Die wenigen, die somit für die Klage in Frage kommen, müssen dann einen eventuellen Erfolg mit folgenden Problemen abwägen:
    • Dem Kläger entstehen zunächst keine Kosten. Im Falle eines vorzeitigen Ausstiegs wird von den US-Anwälten eine Aufwandsentschädigung verlangt, über deren Höhe uns keine Aussagen vorliegen.
    • Mögliche außergerichtliche oder vor deutschen Gerichten erreichte Entschädigungszahlungen werden voraussichtlich durch die US-Anwälte auf mögliche eigene Erfolge angerechnet.
    • Im Falle einer erfolgreichen Klage vor US-Gerichten ist mit einem üblichen Erfolgshonorar von bis zu 50% der erstrittenen Entschädigungssumme für die US-Anwälte zu rechnen. Dies bedeutet aber auch: Je höher die Forderungen der Anwälte, umso höher könnten die zu erwartenden Entschädigungen ausfallen.
    • Es ist mit einem möglicherweise sehr langen Klageverfahren vor US-Gerichten zu rechnen, die beklagten Firmen werden voraussichtlich sämtliche zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausschöpfen, um einer Verurteilung zu entgehen. Natürlich kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass frühzeitig Vergleiche geschlossen werden, um einem langen Klageverfahren und damit verbundener öffentlicher Aufarbeitung durch die Medien zu entgehen.

Der IGH-Vorstand empfiehlt allen betroffenen Mitgliedern, die glauben, die Voraussetzungen zu erfüllen und die sich einer Sammelklage vor US-Gerichten anschließen wollen, sich vor ihrer Entscheidung ausführlich juristisch beraten zu lassen. Dies kann ein Anwalt Ihres Vertrauens sein oder aber der aktuelle deutsche Partner der US-Kanzlei Lieff Cabraser:

RA Axel E. von Bock
Mainzer Strasse 71
D-50678 Köln
Tel.: 0221 / 9 34 92 62
Fax: 0221 / 9 34 92 64
eMail: rechtsanwaltvonbockkoeln@t-online.de

Mit freundlichen Grüßen Interessengemeinschaft Haemophiler e.V.

Wilfried Breuer - Vorsitzender des Vorstands -

Dr. med. Thomas Becker - stellv. Vorsitzender -