Seit fast einem Jahr hält eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 Virus die Welt fest im Griff und hat zu einer Pandemie geführt. Bisher haben sich über 75,4 Millionen Menschen weltweit infiziert und über 1,6 Millionen Patienten sind an den Folgen ihrer Covid 19 Erkrankung verstorben (Stand 21.12.2020 laut WHO: https://covid19.who.int/). Die Behandlungsmöglichkeiten der Infektion sind nach wie vor sehr begrenzt. Die einzige Möglichkeit, die Ausbreitung der Infektionen einzuschränken, besteht darin, dass über 70 % der Bevölkerung Antikörper gegen die Erkrankung entwickeln. Impfungen gegen das Virus sind der sicherste Weg, um eine solche Immunität (Herdenimmunität) aufzubauen. Zurzeit befinden sich mehrere Impfstoffe in der klinischen Testung. Es ist damit zu rechnen, dass die entsprechenden Behörden (EMA und PEI) in kürzester Zeit Impfstoffe auf sogenannter mRNA Basis zulassen werden. Diese Impfstoffe enthalten den Bauplan für einen Teil des Virus. Der Körper wird angeregt, dieses Eiweiß zu produzieren und gleichzeitig Antikörper gegen dieses Eiweiß zu entwickeln. In klinischen Studien hat sich gezeigt, dass diese Antikörper vor einer Infektion schützen. Ein erster Impfstoff wurde soeben zugelassen.
Die WFH wird zur Impfung in Kürze eine Empfehlung veröffentlichen.
Dies sind vorab die wichtigsten Aussagen:
Menschen mit Blutungsstörungen haben kein erhöhtes Risiko, sich mit COVID19 zu infizieren oder eine schwere Form der Krankheit zu entwickeln. Sie werden daher nicht als vorrangige Gruppe für eine Impfung angesehen. Die allgemeinen Auswahlkriterien gelten daher auch für Menschen mit einer Hämophilie. Vorrangig werden Menschen mit einem erhöhten Risikoprofil geimpft, dies sind z.B. hohes Alter, schlechter Gesundheitszustand oder Berufe mit erhöhtem Infektionsrisiko.
Derzeit gibt es keinen Grund, eine bestimmte Art von Impfstoff für Patienten mit Blutungsstörungen zu bevorzugen. Impfstoffe mit modifizierten Adeno-assoziierten Viren (AAV) sind zu vermeiden, wenn in Zukunft eine Gentherapie in Betracht gezogen wird oder in der Vergangenheit eine AAV-Gentherapie durchgeführt wurde. Diese Art von Virus wird häufig als Vektor für gentherapeutische Behandlungen verwendet. Derzeit befinden sich keine Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 mit AAV-Viren in klinischen Studien. Für die Zukunft ist jedoch möglicherweise Vorsicht geboten. Wichtig ist, dass Impfstoffe mit einem anderen Virus, dem Adenovirus, in der Klinik getestet werden und als wirksam erscheinen. Das Adenovirus steht in keinem Zusammenhang mit AAV und wird in der Hämophilie-Gentherapie nicht verwendet. Daher gibt es keine Kontraindikation für die Verwendung bei Menschen mit einer Blutungsstörung.
Der Impfstoff sollte intramuskulär verabreicht werden. Nach der Injektion sollte mindestens 10 Minuten lang Druck auf die Stelle ausgeübt werden, um Blutungen und Schwellungen zu reduzieren. Zusätzlich Selbstinspektion / Betastung des Injektionsbereiches nach einigen Minuten und 2-4 Stunden später wird empfohlen, um sicherzustellen, dass kein Hämatom vorliegt. Ein gewisses Spannungsgefühl ist aber als normal zu betrachten. Alle unerwünschten Ereignisse (z. B. Hämatom, allergische Reaktion) sollten einem Hämophilie-Behandlungs-zentrum gemeldet werden. Patienten sollten vorausschauend angewiesen werden, sich sofort an ihren Arzt zu wenden oder sich sofort an die nächste Notaufnahme des Krankenhauses zu wenden, wenn sie allergisch reagieren (Fieber, Wärme, Rötung, juckender Hautausschlag, Atemnot oder Schwellung des Gesichts oder der Zunge), da diese Reaktionen lebensbedrohlich sein können.
Bei Patienten mit schwerer / mittelschwerer Hämophilie oder Typ-3-von-Willebrand-Krankheit (VWD) sollte die Injektion nach einer FVIII- oder FIX-Injektion bzw. nach einer von Willebrand-Faktor-haltigen Injektion erfolgen. Bei Patienten mit einem basalen FVIII- oder FIX-Wert über 10% sind keine hämostatischen Vorsichtsmaßnahmen erforderlich. In ähnlicher Weise können Patienten unter Hemlibra / Emicizumab (mit oder ohne Inhibitor) jederzeit ohne hämostatische Vorsichtsmaßnahmen und ohne eine zusätzliche Dosis FVIII durch eine intramuskuläre Injektion geimpft werden. Alle Patienten mit seltenen Blutungsstörungen (einschließlich Patienten mit Thrombozytopenie) sollten geimpft werden. Patienten mit VWD Typ 1 oder 2 sollten in Absprache mit ihrem Hämophilie-Behandlungszentrum eine Therapie mit DDAVP oder mit Tranexamsäure durchführen.
Eine Immuntoleranz Therapie, eine Behandlung von Hepatitis C und HIV und andere Erkrankungen sind kein Hinderungsgrund für eine Impfung. Bei bekannten allergischen / anaphylaktoiden Reaktionen in der Vorgeschichte ist der Impfarzt zu informieren und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen sind durchzuführen. Andere mögliche Kontraindikationen sollten individuell mit dem Arzt besprochen werden z.B. Schwangere oder stillende Frauen).
Die Impfung ist bei Patienten mit Immunsuppressiva (Cortison, andere Immunsuppressiva) nicht kontraindiziert.
Bei Patienten in einer klinischen Studie sollte die Impfung den Prüfärzten gemeldet werden.
Bitte nutzen Sie die Möglichkeit einer Impfung. Mit einer Impfung schützt man nicht nur sich selbst, sondern verhindert damit auch die Verbreitung des Virus und zeigt Solidarität mit besonders gefährdeten Personen (ältere Menschen und Personen mit Vorerkrankungen). Sollten sich Änderungen ergeben, werden wir Sie umgehend informieren.
Dr. med. Uwe Schlenkrich / Interessengemeinschaft Hämophiler e.V.
Anlage: Empfehlung (PDF)