Der stellvertretende
Vorsitzende der
IGH, Herr Dr. med. Thomas Becker (Trier) begrüßte
die
zahlreichen Gäste, bedankte sich zuerst bei Herrn Professor
Hanfland, Direktor des Institutes für Experimentelle
Hämatologie
und Transfusionsmedizin des Universitätsklinikums Bonn
für
die Übernahme der Schirmherrschaft und bei Herrn Dr.
Hans-Herrmann Brackmann, der sich für die Leitung des
wissenschaftlichen Programms zur Verfügung gestellt hatte.
In einer per Video
übermittelten
Grußbotschaft bedauerte der IGH-Vorsitzende
Wilfried Breuer,
dass er wegen einer schweren Krankheit nicht persönlich
teilnehmen könne, bedankte sich zunächst bei den
Teilnehmern für ihr Kommen und bei den zahlreichen Referenten
für ihre Bereitschaft, mit den Patienten in den Dialog treten
zu
wollen.
Breuer führte
weiter aus, dass die
IGH den 4. PIT nutzen wolle, um sich bei drei
Persönlichkeiten,
die sich um die Hämophilietherapie verdient gemacht haben, zu
bedanken und sie in den in Kürze bevorstehenden Ruhestand zu
verabschieden. Er würdigte die Verdienste des
Gründungsdirektors
des Instituts für Experimentelle Hämatologie und
Transfusionswesens, Herrn Prof. Hans Egli, des heutigen Direktors,
Herrn Prof. Peter Hanfland und schließlich des
Hämophiliebehandlers, Herrn Dr. Hans-Herrmann Brackmann und
seiner Gattin Christine.
Der Erste
Bürgermeister der
Bundesstadt Bonn, Herr Horst Naaß, eröffnete die
Veranstaltung, dankte der IGH für die seit vielen Jahren gute
Zusammenarbeit mit der Stadt Bonn und hob im weiteren Verlauf seiner
Rede die Bedeutung des Hämophiliezentrums Bonn und
des gesamten
Instituts für Experimentelle Hämatologie und
Transfusionsmedizin für den Wissenschaftsstandort Bonn hervor.
Der Schirmherr des 4.
Patienteninformationstages, Herr Prof. Hanfland, Direktor des
Institutes für Experimentelle Hämatologie und
Transfusionsmedizin des Universitätsklinikums Bonn sprach in
seiner Eröffnungsansprache von einem
denkwürdigen 4. PIT.
Er sprach davon, dass die IGH mit dem PIT eine Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen habe, die mit sehr großem Erfolg das Zusammenwirken von Patienten und Ärzten gepflegt und gestärkt habe.
Denkwürdig sei der PIT auch deshalb, weil während dieser Veranstaltung aktuelle, vielleicht auch brisante Themen besprochen werden.
Und schließlich deshalb denkwürdig denkwürdig, weil mit dem Ausscheiden von Dr. Brackmann und seiner Person mit Herrn Dr. Oldenburg ein Vertreter der jungen Generation die Leitung des Institutes und des Hämophiliezentrums übernehme, der gleichzeitig eine exzellente wissenschaftliche Expertise und eine medizinisch ärztliche Kompetenz in der Behandlung von Patienten mit Blutgerinnungsstörungen vereine.
Die
Staatssekretärin im
Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des
Landes Nordrhein-Westfalen, Frau Cornelia Prüfer-Storcks
würdigte
in
ihrem Grußwort den Beitrag, den
Selbsthilfeorganisationen, wie die Interessengemeinschaft
Hämophiler für das Gesundheitswesen leisten. Sie hob
darüber hinaus
die Bedeutung der Blut- und Plasmaspende hervor und dankte allen
Spenderinnen und Spendern für ihr freiwilliges Engagement und
ihr gesellschaftliches Verantwortungsgefühl.
Nach der Einführung durch die politischen Vertreter standen im Laufe des Vormittags dann die Laudationes für die ausscheidenden Prof. Hanfland und Eheleute Brackmann sowie der Festvortrag im Mittelpunkt.
Herr Prof. Erhard Seifried, Ärztlicher Direktor des Blutspendedienstes Baden Württemberg/Hessen, bedankte sich in seiner Laudatio, dass er vor einer so riesigen Patientenschaft Worte zum Leben und Wirken des Professor Hanfland vortragen dürfe. Nach einer ausführlichen Beschreibung der notwendigen Fähigkeiten, die eine Führungskraft vereinen müsse, bescheinigte er Herrn Hanfland eine charismatische Führungspersönlichkeit, der es immer eloquent aber auch konsequent verstand, Kollegen und Gesprächspartner von seiner Meinung zu überzeugen.
Seine Laudatio beendete er mit den Worten des Dichters Johann Wolfgang von Goethe,: „Wenn du alle Antworten kennst, aber niemand mehr dir Fragen stellt, dann bist du im Ruhestand“ und stellte fest, dass so gesehen Herr Hanfland noch lange nicht im Ruhestand sei.
Frau
Professor Inge Scharrer vom
Hämophiliezentrum der Johann Wolfgang Goethe
Universität
Frankfurt/Main, drückte ihre besondere Freude darüber
aus,
dass sie einen Tag vor dem Welthämophilietag die Laudatio auf
den deutschen „Hämophiliepapst“ , Herrn
Dr. Brackmann halten
dürfe. Sie betonte, dass die Einführung der
Heimselbstbehandlung durch Prof. Egli und Dr. Brackmann im Jahre 1971
ein Eck- und Meilenstein in der Hämophiliebehandlung
darstellte
und insbesondere Herrn Dr. Brackmann deshalb nicht nur der Dank der
Patienten, sondern auch der Hämophiliebehandler Deutschlands
für
die „wegweisende Orientierung zur Erhöhung der
Lebensqualität
der Patienten…“ gelte.
Weiter betonte sie, dass die Erfolge des Dr. Brackmann nur durch die tatkräftige Unterstützung durch seine Ehefrau Christine möglich geworden seien und zitierte ihn mit seinen eigenen Worten während der Preisverleihung für die Entwicklung der Immuntoleranztherapie in Athen im Jahre 1992: „This award should really go to my lovely wife. Without her I wouldn´t have managed this all“.
Sie schloss ihre Laudatio mit dem Goethe-Wort: „Einen neuen Lebenslauf beginne mit hellem Sinne und neue Lieder tönen auf“.
Der erste Teil des 4. Patienteninformationstages wurde mit dem Festvortrag „Von der Cohn-Fraktion I zur Gentherapie“ von Herrn Professor Wolfgang Schramm vom International Hemophilia Training Center der Ludwig Maximilians Universität München abgeschlossen. Professor Schramm stellte die schwierigen Anfänge der Blutertherapie vor und berichtetet von ersten Therapieansätzen im Jahre 1941 mit EDTA und dem ersten PPSB-Präparat „AC 76“ im Jahre 1952. Beschrieben wurde das Krankheitsbild bereits 1793 von deutschen Ärzten, wissenschaftlich beschrieben wurde die Hämophiliekrankheit erstmals 1820 von dem deutschen Arzt Nasse, der damals von „der erblichen Neigung zu tödlichen Blutungen“ berichtete. Im ähnlichen Zeitraum gab es auch eine Publikation über das Alter der Patienten. Von 52 hämophilen Patienten starben die allermeisten bis zum 20. Lebensjahr, nur drei Patienten haben das 50. Lebensjahr damals überhaupt erreicht.
Der Durchbruch wurde Anfang der 70iger Jahre mit der Einführung der ärztlich kontrollierten Heimselbstbehandlung erreicht, erstmals hatten die Hämophilen die Möglichkeit, ihre Krankheit prophylaktisch, das heißt vorbeugend zu behandeln und somit die bis dahin lebensgefährlichen Blutungen zu verhindern.
Heute dagegen wird bereits diskutiert, ob man mit Hilfe der Gentherapie die Krankheit beseitigen könnte.
In den beiden folgenden Podiumsdiskussionen „Hämophilieversorgung nach dem GKV-Modernisierungsgesetz“ und „Sicherheit von Blutprodukten“ bezogen Fachleute aus den verschiedenen Bereichen Stellung. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass zwar –wie in allen Bereichen- gespart werden muss und die Aufforderung der Kostenträger nach einer Behandlung in zertifizierten Hämophiliebehandlungszentren sehr deutlich formuliert wurde, dennoch der bekannte Therapiestandard derzeit nicht in Frage gestellt wird. Bei der Diskussion um das Pro und Contra bei der Anwendung von plasmatischen oder rekombinanten Faktorpräparaten wurde deutlich, dass beide Präparategruppen zu etwa gleichen Anteilen verordnet werden, die Tendenz sowohl bei den Ärzten als auch den Patienten aber offensichtlich doch zu den rekombinanten Produkten neigt.
Bedauerlich war, dass die Möglichkeit, die Patienten intensiv in die Diskussion einzubinden, von diesen kaum genutzt wurde.
Nach der Mittagspause wurden die aktuellen Aspekte der Behandlung erörtert.
Zunächst gab der
Leiter und
Oberarzt des Bonner Hämophiliezentrums, Herr Dr. Brackmann
einen
Einblick
in die Behandlungsziele der Hämophilietherapie und
stellte fest, dass bei der Abwägung zwischen Minimum der
Hämophilietherapie mit der ausschließlichen
Behandlung von
akuten Blutungen und dem absoluten Maximum durch den kompletten
Ausgleich des Gerinnungsdefektes durch die tägliche Gabe einer
ausreichenden Menge des fehlenden Gerinnungsfaktors sich in der
Praxis der goldene Mittelweg hervorragend bewährt habe. Dabei
wird eine auf jeden einzelnen Patienten abgestimmte, immer wieder
kontrollierte und nachjustierte Behandlung in engster Kooperation
zwischen Arzt und Patient gefunden und somit Blutungen und deren
Folgen vermieden. Er bedankte sich in diesem Zusammenhang bei dem
Gründungsdirektor des Institutes für Experimentelle
Hämatologie und Transfusionsmedizin des
Universitätsklinikums
Bonn, Herrn Prof. Dr. Hans Egli, durch dessen Einführung der
ärztlich kontrollierten Heimselbstbehandlung im Jahre 1971 das
Erreichen dieses Therapiezieles überhaupt erst
möglich
wurde.
Frau Dr. Voigt von der Immunologischen Ambulanz der Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Bonn musste bei ihrer Betrachtung über die neuen Aspekte der HIV- und Hepatitis-Therapie feststellen, dass trotz aller Fortschritte in der Behandlung von monoinfizierten Patienten es immer noch gewaltigen Aufholbedarf bei koinfizierten Blutern gibt. Die sowohl HCV- als auch HIV-infizierten Patienten bilden nicht nur 10 – 20 Jahre früher als nur HCV-infizierte Bluter eine Leberzhirrose bzw. ein Leberzellkarzinom aus, sondern sprechen auch wesentlich schlechter auf Therapieversuche an. Während bei den nur HCV-infizierten Patienten durch entsprechende Behandlungsansätze inzwischen bis zu 79% dauerhafte Heilungserfolge beobachtet werden können, reduziert sich das bei den doppelt infizierten Patienten auf etwa 25 bis maximal 40%.
Als Goldstandard in der Therapie wird inzwischen die kombinierte Behandlung von pegyliertem Interferon und Ribavirin angesehen, wobei ein ebenso wichtiger Baustein für die erfolgreiche Behandlung ein frühes Therapieansprechen ist. Sollte beim Patienten nach einer Behandlungsdauer von maximal zwölf Wochen keine drastische Reduzierung der HC-Viren festgestellt werden, bricht man die Therapie in der Regel wegen der erheblichen Nebenwirkungen ab, weil kein dauerhafter Erfolg mehr zu erwarten ist.
Hämophile Patienten besonders der älteren Generation haben häufig mit schweren Gelenksveränderungen zu tun, die man auf zweierlei Weise zu behandeln versucht. Vor einem chirurgischen Eingriff sollte zuerst immer der konservative Weg versucht werden. Herr Dr. Seuser von der Kaiser-Karl-Klinik Bonn schilderte in seinem Vortrag, wie wichtig das Roll-Gleit-Verhalten für die gesunde Balance der Gelenke ist und appellierte deshalb an die Patienten, Kraft und Koordination zu trainieren, um ihre Muskulatur zu stärken und damit die Gelenke zu entlasten. Dies kann durch verschiedene Therapieansätze wie z.B. Massagen, Kälte-Wärme-Therapie, Wassertraining erfolgen. Wichtig erscheint Herrn Seuser auch, dass der Hämophiliepatient, der in Fachkreisen auch der „silent sufferer“, der „stille Dulderer“ genannt wird, mit seinem Behandler über seine Schmerzen spricht und diese behandeln lässt. Schmerzen behindern die Funktion der Gelenke, führen zur Schonhaltung, belasten damit die gesunden Gelenke übermäßig und führen nicht selten dann auch zu deren Schädigung. Es gibt heute vielfältige Möglichkeiten der Schmerztherapie, angefangen von wirksamen Medikamenten über physikalische Therapiemöglichkeiten.
Wie vielfältig die Möglichkeiten der rehabilitativen Medizin sind, erläuterte im Anschluss Dr. Hilberg vom Lehrstuhl für Sportmedizin an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Mit dem an seinem Institut entwickelten „Hemophilia Exercise Project“ können bei stark geschädigten Gelenken koordinative Fähigkeiten und als Resultat daraus auch die konditionellen Fähigkeiten verbessert werden. Dies wird mit einer programmierten Sporttherapie erreicht, wobei den Patienten zunächst im Rahmen von Sportcamps in Bad Blankenburg in Thüringen in Schulungen Trainingsanleitungen vermittelt werden, die diese dann zu hause im Heimtraining umsetzen müssen. Die Erfolge werden nach einem halben Jahr bei einem Folgecamp überprüft und entsprechende neue Therapiepläne entwickelt, je nach Fortschritt der Patienten.
Voraussetzung für eine optimale Therapie ist jedoch immer die Diagnose. Nur mit einer ausführlichen Diagnose sind nämlich die eingeschränkten Funktionen erkennbar und durch individuell auf den einzelnen Patienten abgestimmte Therapiepläne sind die Fähigkeiten der eingeschränkten Gelenkssituationen trainierbar und führen in vielen Fällen zu dauerhaften Verbesserungen.
Erst wenn die konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden und keine dauerhafte Erleichterung für den Patienten gebracht haben, wird der orthopädische Chirurg in Erscheinung treten müssen. Herr Dr. Wallny vom St. Bernhard Hospital in Kamp-Lintfort schilderte, dass sich bei vielen Patienten vorwiegend der älteren Generation durch zahlreiche Einblutungen in die Gelenke so genannte Arthropathien bilden, die teilweise zur vollständigen Zerstörung der Gelenke führen und einen operativen Eingriff unumgänglich machen. Ziel des chirurgisch tätigen Orthopäden ist es also, den Patienten wieder mobil zu machen oder doch zumindest die Folgen der Arthropathie abzulindern. Grundlage für den operativen Eingriff beim hämophilen Patienten ist unbedingt die interdisziplinäre Zusammenarbeit, hier insbesondere mit dem Labor, das die Gerinnungswerte bestimmt und natürlich dem Hämophiliezentrum, das die Dosierungsempfehlungen gibt. An zwei Dias veranschaulichte Dr. Wallny ein gesundes und ein bereits weitgehend zerstörtes Kniegelenk.
Dr. Kurth von der Orthopädischen Universitätsklinik Friedrichshain in Frankfurt/Main schilderte anschließend an Hand eines einzelnen Patienten, dessen Gelenke bereits weitgehend verkrüppelt waren, dass selbst in schwierigsten Fällen operative Eingriffe deutliche Verbesserungen bringen. Der beschriebene Patient hatte eine Hemmkörperhämophilie, zwei zerstörte Kniegelenke, eine nicht mehr funktionierende Hüfte und diverse andere Gelenksschädigungen. Normalerweise müssten die vorher beschriebenen Symptome den Patienten lebenslang an sein Bett fesseln, dennoch wagte man hier eine umfassende Operation, der Patient ist heute wieder mobil. Dr. Kurth wollte mit diesem Extrembeispiel, das weit über die Routineversorgung hinausging, allen hämophilen Patienten mit Einschränkungen in der Mobilität Mut machen und aufzeigen, dass selbst in aussichtslosen Fällen operative Eingriffe deutliche Verbesserungen für den Betroffenen bringen können.
Nach der Kaffeepause begann
der Block
„Hämophilie und Familie“ zunächst
mit einer
Situationsbeschreibung der Hämophiliebehandlung aus der Sicht
der Hämophilieassistentin. Christine Brackmann aus Bonn
schilderte, dass die Hämophilieassistentinnen sich in den
90iger
Jahren zu einem Arbeitskreis zusammengefunden haben, um Erfahrungen
auszutauschen. Heute besteht dieser Kreis aus 36 Teilnehmern, aber
erst im vergangenen Jahr wurde ihnen anlässlich der
7. Greifswalder Hämophilie-Tage die Möglichkeit geboten, öffentlich über die Betreuungspraxis der hämophilen Patienten aus der Sicht der Assistentinnen zu berichten. Erstmals konnte vor Fachpublikum dokumentiert werden, wie wichtig die Hämophilieschwester als Bindeglied zwischen Patient und Arzt ist und dass sie in erster Linie Ansprechpartnerin und Vertrauensperson der Patienten sei.
Frau Brackmann schilderte
aus ihrer
34jährigen Berufspraxis an Hand von Einzelbeispielen die
Entwicklung der Hämophilietherapie. Ihre
Nervosität bei der
ersten gesetzten Spritze mit Faktorenkonzentrat war spürbar,
die
Schilderung der Lebenssituation des ersten Patienten der
Heimselbstbehandlung vor und mit der Heimselbstbehandlung war
ergreifend und erinnerte viele ältere Hämophile an
ihre
eigene Situation zur damaligen Zeit, aber auch der Appell an die
jungen Hämophilen, ihre Erwartungshaltung an ein vollkommen
gleichgestelltes Leben von blutgesunden Gleichaltrigen nicht
überzustrapazieren und ihre Grunderkrankung zu akzeptieren,
beeindruckte.
Die Diplom Psychologin,
Elisabeth
Schulze-Schleithoff vom Hämophiliezentrum Bonn unterschied bei
der psychischen Belastung und dem
persönlichkeitsprägendem
Einfluss von hämophilen Patienten zwischen alter und neuer
Hämophilie, also der Hämophilieerkrankung vor und
nach der
Einführung der Heimselbstbehandlung. Im Zentrum der alten
Hämophilie standen Blutungen, Schmerzen, Bettruhe und
häufige
Krankenhausaufenthalte. Eltern, insbesondere Mütter, neigten
aus
eigenem Ohnmachtsgefühl dazu, die Söhne zu
behüten, zu
schonen und abzuschirmen. Die Söhne selbst verbanden ihre
Krankheit mit Schmerzen, Ausgegrenztsein, körperlicher
Beeinträchtigung. Durch das Fehlen von Kontakten zu
Gleichaltrigen beschränkte sich die Kommunikation mit der
Außenwelt häufig auf die eigene Verwandschaft, es
kam
häufig zu emotionaler Isolation.
Für die jungen Hämophilen stellen sich dagegen völlig andere technische und psychische Belastungen. Aus Mangel an erfahrenem Schmerz durch die prophylaktische Therapiemöglichkeit wird der eigentliche Stechvorgang als schmerzhafter und äußerst unangenehmer und vor allem auch lästiger Vorgang betrachtet. Dadurch, dass hämophile Jungen heutzutage wie andere Kinder aufwachsen und Normalität fast zum Programm wird, wird z.B. auch das Fußballverbot als nicht zu akzeptierende Härte und Belastung angesehen.
Aus eigener Erfahrung und auch aus Gesprächen mit anderen betroffenen Eltern formulierte Corinna Clemens die Erwartungen der Patienten aus der Sicht der Eltern von hämophilen Kindern an ein Behandlungszentrum. Da die Eltern die Diagnose „Hämophilie“ meistens durch den Kinder- oder Hausarzt erfahren, erfolgt hier nur eine ungenügende Aufklärung über das Krankheitsbild und die Eltern überfällt Ohnmacht und Panik, wie sie mit dieser Mitteilung umgehen sollen. Nach der Überweisung in das Hämophiliezentrum wird sich dieses Gefühl nicht wesentlich verändert haben und deshalb ist eine Grundbitte an die Mitarbeiter der Zentren: Ruhe bewahren, selbst wenn die Eltern unsicher, ängstlich und teilweise hysterisch reagieren. Es sollte nie vergessen werden, dass junge Eltern eine Menge Ängste und Sorgen mit sich herumtragen und nicht wissen, wie sie im Alltag mit der Krankheit ihrer Kinder umgehen sollen. Es gibt viele Fragen, die auch beantwortet zunächst nicht zur Beruhigung beitragen und deshalb immer wieder gestellt werden. Auch später, wenn sich die erste Aufregung gelegt hat und der Umgang mit der Hämophilie gewohnter wird, wird an die Hämophilieassistentinnen und an die behandelnden Ärzte appelliert, Geduld zu bewahren, wenn die ersten Stechversuche beim eigenen Kind erfolglos bleiben und deshalb die Unsicherheit und die Nervosität der Eltern zunehmen.
Manchmal wollen die Eltern einfach die Seele frei reden, deshalb ist auch das Zuhören eine wichtige Erwartung der Patienten an ihre Behandler, Psychologen und Hämophilieassistentinnen.
Da das Hämophiliezentrum eine wichtige Rolle im Leben der Eltern von hämophilen Patienten einnimmt, wird nicht zuletzt gefordert, dass dort Infopulte mit Standardinformationen und –anschreiben bereit stehen, wo man sich z.B. über Kuranträge erkundigen kann, erfährt, wie man sich bei der Anmeldung in Kindergarten, Schule usw. verhält.
Herr
Dr. Oldenburg vom
DRK-Blutspendedienst Baden Württemberg/Hessen versicherte als
zukünftiger Direktor des Institutes für
Experimentelle
Hämatologie und Transfusionsmedizin am
Universitätsklinikums
Bonn und in Personalunion auch zukünftiger
Hämophiliebehandler,
dass am derzeitigen Therapieschema festgehalten werde und es hier
nicht zu Veränderungen komme.
Die personelle Stabilität im Hämophiliezentrum soll zukünftig oberstes Gebot sein, damit die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient einen langfristigen Bestand hat, das Vertrauensverhältnis gewahrt bleibt und jeder Arzt jeden Patienten auch im Detail kennt und auf bestimmte Ereignisse unverzüglich reagieren kann.
Die Leitung eines Institutes und die Hämophiliebehandlung in einer Hand ist einzigartig in Deutschland und garantiert dem Hämophiliezentrum und auch der Hämophiliebehandlung eine langfristige Stabilität.
Eine weitere wichtige Voraussetzung für eine langfristige Sicherung der Hämophilietherapie besteht nach Überzeugung von Dr. Oldenburg in der Konzentration der Behandlung in wenigen gut ausgerichteten Zentren. Große Zentren haben politischen Einfluss und können integrierte Behandlungskonzepte zur Verfügung stellen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist eine wesentliche Voraussetzung für eine optimale und kostenorientierte Hämophilietherapie. Patienten und deren Interessenvertretungen tragen zur Sicherstellung ihres gewohnten Behandlungsstandards bei, indem sie die großen Zentren mittragen und unterstützen. Weitere wichtige Arbeitsschwerpunkte von Dr. Oldenburg werden zukünftig die weitere Verbesserung der Hemmkörpertherapie und die Erforschung der Gentherapie sein.
Den Abschluss des 4.
Patienteninformationstages bildete die
Patientenrede
von Wilfried
Altendorf aus Minden. Herr Altendorf, einer der ersten
Patienten des
Bonner Hämophiliezentrums, berichtete über die
Anfänge
des Bluterzentrums im Keller des Instituts. Es musste an allen Ecken
improvisiert werden, weil die Mittel und Möglichkeiten zu
damaligen Zeiten knapp bemessen waren. Dennoch waren alle
Beteiligten, Ärzte wie Patienten, hoch motiviert, die Idee von
Professor Egli, die Heimselbstbehandlung umzusetzen. Die Konzentrate
mussten mit einer Krups-Küchenmaschine aufgelöst
werden,
später erfand ein Patient eine Schüttelmaschine,
damit man
das Konzentrat nicht mehr endlos lange in der Hand schütteln
musste, bevor es fertig zum Injizieren war. Heute beherbergt das
Bonner Universitätsklinikum das herausragendste und
größte
Hämophiliezentrum der Welt mit über 1000 Patienten.
Den
entscheidenden Anteil an der Entwicklung des Zentrums habe
zweifelsohne Dr. Brackmann, der gemeinsam mit seiner Gattin 24
Stunden an sieben Tagen in der Woche für seine Patienten
erreichbar gewesen sei und erinnerte an eigene Erlebnisse, wenn er
mitten in der Nacht telefonische Beratung oder auch am Wochenende
nach schweren Blutungen ärztliche Betreuung benötigte.
Im Namen aller Patienten bedankte sich W. Altendorf beim Ehepaar Brackmann für die jahrelange aufopferungsvolle Tätigkeit mit den Abschiedsworten: „Große Ärzte können nur die feinsten Köpfe sein. So ein Arzt ist Hans-Herrmann Brackmann. Einer, der segensvollen Einfluss auf das Glück seiner Mitbürger genommen hat, auf uns, seine Patienten zum Beispiel, die ihn schätzen und lieben, weil er uns als Menschenfreund und Helfer begegnet ist. Den Arzt müssen wir ziehen lassen. Wir gönnen dem Ehepaar Brackmann nach Jahren unendlicher Disziplin und überragenden Fleißes weitere Jahre des Schlendrians, des Nichtstuns und des Genießens. Unser Trost: Die Freunde Brackmann brauchen wir nicht ziehen zu lassen, sie bleiben uns erhalten. Und ein Zeichen unseres unendlichen Dankes an ihre medizinischen Leistungen soll sein, dass wir sie auch zukünftig als Freunde im Herzen und im Terminkalender behalten.“
Nach den Abschiedsworten von Dr. Brackmann und Dr. Becker überreichte der IGH-Geschäftsführer, Herr Schelle dem Ehepaar Brackmann als Abschiedsgeschenk der Patienten ein mit 4.000 Euro wohlgefülltes Sparschwein (das während des PIT tagsüber von den Patienten ordentlich gefüttert wurde), dessen Inhalt auf ausdrücklichen Wunsch des Ehepaares Brackmann für die Errichtung eines Spielplatzes und womöglich auch noch für die Einrichtung einer Spielecke im neuen Hämophiliezentrum verwendet werden soll.