Definition: "Hämophilie = Vorliebe zu Blut", hier handelt
es sich offensichtlich um eine veränderte Kurzform des
ursprünglich von Lukas von Schönlein verwendeten Wortes
"Hämorrhaphilia = Neigung zu Blutungen"
Die Hämophilie, auch Bluterkrankheit genannt, ist eine
angeborene, vererbbare Blutgerinnungsstörung. Menschen, die an
der Hämophilie leiden, fehlt es lebenslang an einem Stoff im
Blut, der für die Blutstillung nötig ist, dem
Gerinnungsfaktor.
Bis Anfang 1940 war die Hämophilie nicht behandelbar, die
erkrankten Patienten verstarben sehr früh. L. Grandidier aus
Leipzig veröffentlichte 1877 eine Statistik, nach der von 171
erfassten Hämophilen nur 5 älter als 50 Jahre wurden.
Noch bis Mitte 1950 betrug die durchschnittliche
Überlebenszeit eines Hämophilen 16,5 Jahre.
1893 erfand Sir Almroth Wright den ersten Labortest zur
Untersuchung der Hämophilie und konnte nachweisen, dass die
Gerinnungszeit bei Hämophilen verlängert ist.
1925 konnte der Schweizer Hämatologe Feissly nachweisen,
dass die Gerinnungsstörung von Hämophilen durch die
Transfusion von Normalplasma korrigiert werden.
Bis weit in die 50er Jahre war Frischplasma die einzige
Möglichkeit, Gerinnungsstörungen zu behandeln.
Erschwerend kam hinzu, dass dieses Substitutionsmittel immer von
blutgruppengleichen Spendern gewonnen und unmittelbar verabreicht
werden musste.
1956 konnte in Bonn mit der Einführung der Cohn´schen
Fraktion, welche nach einem speziellen Auftrennungsverfahren
für Plasmaeiweißen hergestellt wurde, eine deutliche
Verbesserung der Hämophiliebehandlung erreicht werden.
1959 gelang es den Wissenschaftlern Soulier und Steinbuch, ein
PPSB-Konzentrat mit hohem Faktor IX-Gehalt herzustellen, somit war
auch Hämophilie B behandelbar geworden.
Die mittlere Überlebenszeit der Hämophilen war
inzwischen auf 23 - 30 Jahren angestiegen.
Der entscheidende Durchbruch in der Hämophiliebehandlung
gelang Anfang der 70er Jahre durch die Bereitstellung von
lagerfähigen Faktor VIII-Hochkonzentraten. Hierdurch wurde im
Jahre 1971 die Einführung der ärztlich kontrollierten
Selbstbehandlung ermöglicht. Durch spezielle
Behandlungskonzepte, wie die prophylaktische (vorbeugende) Gabe von
Gerinnungsmitteln wurden die Ärzte erstmals in die Lage
versetzt, Blutungen vorzubeugen. Damit konnten die schweren
Blutungsfolgen wie etwa Gelenkschäden verhindert werden.
Am 30.11.1972 berichten die Bonner Hämatologen Brackmann
und Egli im Deutschen Ärzteblatt, dass die
"...Heimselbstbehandlung dazu geeignet ist, das schwere
Krankheitsbild der Hämophilie entscheidend zu mildern und bei
konsequenter Anwendung die Folgen hämophiler Blutungen, wie
sie in Gelenkversteifungen und Lähmungen manifestieren, zu
vermindern. Darüber hinaus vermittelt sie dem Hämophilen
weitgehende Unabhängigkeit gegenüber seinem Leiden und
damit jene Freiheit des Handelns, die ihm den Zugang zu bisher
verschlossenen beruflichen und privaten Möglichkeiten
öffnet."
1978 errechneten Lechner und Mitarbeiter an Hand der Analyse von
sogenannten Lebenstabellen, dass Hämophile eine nahezu normale
Lebenszeiterwartung hatten.
Allerdings kann nicht verschwiegen werden, dass durch den
Einsatz von Plasmakonzentraten neben vielen Erleichterungen
für die Hämophilen auch schlimme Krankheiten ihren Tribut
forderten, wie z.B. die Hepatitis-Infektionen Ende der 70er Jahre
(ca. 95% Infektionsrate) oder die HIV-Infektionen Anfang der 80er
Jahre (60% der dauerbehandlungsbedürftigen Hämophilen).
Zur Vermeidung von Transfusionsgelbsuchten hatte Anfang der 80er
Jahre eine Entwicklung von virusinaktivierten
Gerinnungskonzentraten begonnen. Es zeigte sich später, dass
durch die Virusinaktivierung auch die Übertragung von HIV
verhindert werden konnte.
Weitere Reinigungs- und Konzentrierungsverfahren haben
inzwischen bei den Faktor VIII-Konzentraten zu einer neuen
Generation von sogenannten hochreinen Gerinnungskonzentraten
geführt. Bei der Behandlung der Hämophilie B haben seit
1990 Präparate, welche ausschließlich Faktor IX
enthalten, die PPSB-Präparate abgelöst.
Ein weiterer Meilenstein der Hämophiliebehandlung war die
Entdeckung des Faktor VIII-Gens durch die Molekularbiologie. Sie
führte zur Entwicklung von gentechnisch hergestellten Faktor
VIII-Konzentraten, von denen das erste im Sommer 1993 in
Deutschland zugelassen wurde. Damit ist eine Übertragung von
menschlichen Infektionskrankheiten unmöglich geworden.
In den letzten Jahren wurden auch die rekombinanten
Gerinnungskonzentrate weiterentwickelt, die neuen Generationen
stehen kurz vor der Zulassung.
Im Februar 1981 akzeptierte der Untersuchungs- und
Heilmethodenausschuß der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung die wesentlichen Behandlungs-aspekte der
Hämophilie und schaffte mit der Einbindung der
Substitutionstherapie in die RVO die Grundlagen zu einer
kostendeckenden Finanzierung der Hämophilie-Behandlung.
Heute kann von einer sicheren und gesicherten
Hämophiliebehandlung gesprochen werden. Dennoch sind auch
zukünftig Anstrengungen der Patienten nötig, um
einerseits den Behandlungsstandard zu sichern und zu erhalten,
andererseits weitere Verbesserungen in der Behandlung zu
erreichen.