Dauermedikation mit Gerinnungsfaktoren versus Einzelbehandlung
Rottenburg, den 04. April 2011
Beitrag zur Kontroverse der Dauermedikation mit Gerinnungsfaktoren versus Einzelbehandlung im Blutungsfall
Stefan Boskamp
Bellalliancestr. 27
20259 Hamburg
040 4905779
AN:
Intressengemeinschaft Haemophiler e.V.
Johannesstr. 38
D-53225 Bonn
e-mail: igh-bonn@t-online.de
Hamburg, den 03.10.2001
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte meine Ansicht zu der im Moment herrschenden Kontroverse der Dauermedikation mit Gerinnungsfaktoren versus Einzelbehandlung im Blutungsfall darlegen. Ich hoffe, im folgenden
dazu beitragen zu können, die Vorteile einer Dauersubstitution deutlich zu machen.
Ich leide seit meiner Geburt an einer Hämophilie B, d.h. einem Mangel des Gerinnungsfaktors IX in einer schweren Verlaufsform. Die intravenöse Behandlung mit Faktorpräparaten
wurde zuerst durch meine Eltern durchgeführt. Seit meinem zwölften Lebensjahr führe ich die Prophylaxe bzw. Blutungsbehandlung selbst durch. Diese Dauersubstitution und die
kompetente und immer verfügbare Betreuung durch die Ärzte der Bonner Hämophilie Ambulanz unter Prof. Dr. Brackmann haben es mir ermöglicht, ein bis aus wenige Ausnahmen
normales Leben zu führen, dass sich kaum von dem anderer Kinder meiner Generation unterschied. Dafür bin ich sehr dankbar.
Die nun erneut stattfindende Diskussion, ob eine Dauersubstitution, die mit hohen Kosten verbunden ist, sinnvoll ist oder durch eine Intervention im Blutungsfall ersetzt werden sollte,
erschreckt mich zutiefst, sowie alle anderen Betroffenen auch. Zum einen würde sich durch eine Umstellung der Behandlung das Leben der Betroffenen drastisch ändern: Patienten
müssten sich generell in der Nähe von Krankenhäusern aufhalten, und selbst dies würde eine Verschlechterung der Versorgung bedeuten, da diese aufgrund der Seltenheit der
Erkrankung mit der Behandlung einer Hämophilie nicht vertraut sind.
Faktorkonzentrate sind aus ebendiesem Grund nicht oder nur in geringer Menge verfügbar, wie ich selbst erfahren konnte, als mich ein Notfall zwang, Konzentrat im Universitätsklinikum
Eppendorf zu beschaffen, welches immerhin das grösste Krankenhaus Norddeutschlands ist. Reisen wären nicht mehr oder nur noch in sehr eingeschränktem Rahmen möglich.
Kinder, die an Hämophilie leiden, würden nicht mehr wie heute ein normales Leben führen können, sondern müssten ihr Aufwachsen wieder unter dauernder Angst und als
Schwerkranke vollziehen, sowohl in den Augen der Bevölkerung als auch in ihren eigenen.
Doch was gesellschaftlich noch schwerer wiegt als das persönliche Leiden der Betroffenen ist die Tatsache, dass letztlich wohl kaum Kosten eingespart werden könnten. Zum einen
entspricht die Menge der verwendeten Präparate einer Dauerbehandlung in etwa der, die bei zwei bis drei schweren Blutungen pro Jahr verwendet würden. Anzunehmen ist jedoch, dass es ohne
die Substitution, die die Gerinnung eines Betroffenen auf einem niedrig normalen Level hält, es zu einer weitaus höheren Zahl schweren Blutungen kommen würde, was die Kosten
zusätzlich in die Höhe treiben würde. Ein eingestellter Hämophiler ist in der Lage, Sport zu betreiben, was Muskeln und Bänder stärkt und die Wahrscheinlichkeit
einer Blutung oder die Schwere einer eingetretenen Blutung weiter senkt. Auch die Zeit, die vergeht, bis Faktor appliziert werden kann ist von entscheidender Bedeutung für die Schwere der
Blutung und somit Länge der Behandlung. Hinzu würden vermehrte Krankenhausaufenthalte kommen, die im Moment nur selten nötig werden, da die Behandlung zuhause unter Regie der
Ärzte der Ambulanz vollzogen wird. Auch Folgeerkrankungen wie z.B. beeinträchtigte Gelenke würden orthopädische Behandlungen im grossen Umfang notwendig machen und
zusätzlich die Möglichkeit eines normalen Lebens und einer normalen Berufstätigkeit beeinträchtigen. Daher sehe ich auch volkswirtschaftlich keinen Gewinn in einer Abschaffung
der Prophylaxe.
Das dies nicht reine Theorie ist, zeigen uns Beispiele in anderen Ländern, wo keine Dauerbehandlung durchgeführt wird. Als Medizinstudent im Praktischen Jahr habe ich Gelegenheit
gehabt, im Ausland die Folgen der unzureichenden Behandlung Hämophiler zu erleben. Selbst in einem so hochtechnisierten Land wie den USA mit ihrem hohen medizinischen Standart leiden die
Patienten beträchtlich, und müssen sich häufig in Krankenhäusern einfinden. Dabei werden weitaus schlechtere Ergebnisse erzielt.
Ich plädiere also mit allem Nachdruck für die Beibehaltung des inzwischen seit Jahren hervorragend funktionierenden deutschen Systems der Dauersubstitution. Ich hoffe, Ihnen mit
meinen Ausführungen weiterhelfen zu können. Für weitere Fragen bezüglich meiner Erfahrungen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlich Grüssen,
Stefan Boskamp