- Einleitung
- Abgrenzung des Themas und persönlicher Bezug
- Was ist Hämophilie
- Allgemeine Vererbung
und Behandlung von Hämophilie B
- Vererbung von Hämophilie B
- Ziele der Behandlung
- Substitutionsbehandlung
- Behandlung im Kindes- und Jugendalter
- Behandlung im Erwachsenenalter
- Behandlung von Konduktorinnen
- Mögliche Nebenwirkungen und Risiken der
Substitutionsbehandlung
- Vererbung und
Behandlung von Hämophilie B am Beispiel des Hämophilen
P.
- Entstehung und Vererbung - von der sporadischen zur
familiären Hämophilie
- Erkennung und Erstbehandlung der Hämophilie B bei P.
- Ambulante Substitutionsbehandlung
- Heimselbstbehandlung
- Gefahr durch die Behandlung
- Zukunftsaussichten
- Vererbungsmöglichkeiten der Hämophilie bei P.
- Neue Behandlungs- und Heilungsmöglichkeiten
-- Gentechnologisch hergestellter Faktor IX
-- Lebertransplantationen
-- Gentherapie
- Literaturverzeichnis / Anmerkungen
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1. Einleitung
1.1 Abgrenzung des Themas und persönlicher
Bezug
Da die Hämophilie viele Themen bietet, habe ich mir zwei
zur Bearbeitung herausgesucht: Vererbung und Behandlung. Um die
Themen noch konkreter darstellen zu können, werde ich mich bei
der Vererbung und Behandlung nur auf die Hämophilie B beziehen
und dieses sowohl allgemein als auch an einer speziellen Person
darstellen.
Da es in unserer Verwandtschaft einen Hämophilen gibt, bin
ich mit dem Thema vertraut und habe die Möglichkeit, an einer
konkreten, mir bekannten Person die Vererbung und Behandlung der
Hämophilie zu verdeutlichen.
1.2 Was ist Hämophilie ?
Hämophilie - was ist das eigentlich ? Von vielen Leuten
hört man immer noch, ein Hämophiler sei jemand, der
verblutet, wenn er sich verletzt. Doch das Verbluten eines
Hämophilen ist heutzutage in Deutschland nahezu
ausgeschlossen. In Osteuropa und der Dritten Welt ist die
Möglichkeit des Verblutens oder schwerwiegender
Folgeschäden gegeben, weil die Krankheit oft gar nicht erkannt
wird; wenn doch, dann kann sie nicht oder nur unzureichend
behandelt werden, da die Kosten der Hämophiliebehandlung sehr
hoch sind. Ein Monat Dauerbehandlung ohne zusätzliche
Blutungsereignisse kostet bei einem 10-jährigen Jungen ca.
7200,- DM.
Hämophilie, auch unter dem Namen Bluterkrankheit bekannt, ist
eine Erbkrankheit, bei der einer der Gerinnungsfaktoren fehlt oder
nicht in ausreichender Konzentration vorhanden ist. Man
unterscheidet Hämophilie A (Mangel an Faktor VIII) und
Hämophilie B (Mangel an Faktor IX). Ca 85% der Hämophilen
haben Hämophilie A und ca. 15% Hämophilie B. Die
Unterteilung erfolgt je nach Schweregrad der Restaktivität
(RA) in schwere Hämophilie (unter 1% RA), mittelschwere
Hämophilie (1-5% RA), leichte Hämophilie (5-15% RA) und
Subhämophilie (15-35% RA). Ein gesunder Mensch hat 100%
Blutgerinnungsfaktorenaktivität, aber schon mehr als 3%
reichen aus, um vor alltagsbedingten Blutungen zu schützen.
Bei der Hämophilie sind aufgrund der Vererbung ( siehe 2.1 )
fast ausschließlich männliche Personen betroffen, in
Deutschland etwa 7000. (nach: Lit.1, S. 47-49; Lit. 3)
2. Allgemeine Vererbung und Behandlung der
Hämophilie B
2.1 Vererbung von Hämophilie B
Hämophilie B wird ebenso wie Hämophilie A durch den
X-chromosomal- rezessiven Erbgang vererbt. Das heißt,
daß das defekte Gen, das das Fehlen bzw. den Mangel an Faktor
IX ( bei Hämophilie A an Faktor VIII ) verursacht, auf dem
X-Chromosom liegt. Wie bei allen rezessiven Erbgängen sind
somit alle Männer, die das defekte Gen besitzen, und alle die
Frauen hämophil, die homozygot bezüglich des defekten
Gens sind. Homozygot bedeutet hier, daß beide X-Chromosome
von der Krankheit betroffen sind. Eine Frau, bei der nur auf einem
X-Chromosom das defekte Gen liegt, wird Konduktorin für
Hämophilie genannt. Sie kann das defekte Gen an ihre
Nachkommen weitergeben, bei ihr selbst tritt die Hämophilie
aber nicht auf, weil das andere, gesunde X-Chromosom ausreicht,
damit genügend Blutgerinnungsstoffe produziert werden.
- Aus der Ehe eines Hämophilen mit einer genotypisch
gesunden Frau sind alle Söhne genotypisch gesund und alle
Töchter Konduktorinnen ( Abb.1 ). Das heißt, daß
die Töchter phänotypisch alle gesund sind, die Anlage
aber auf einem X-Chromosom liegt. Die Hämophilie tritt also
als zu behandelnde Krankheit frühestens wieder in der
übernächsten Generation auf.
- Von den Kindern aus der Ehe einer Konduktorin und eines
genotypisch gesunden Mannes sind der Wahrscheinlichkeit nach die
Hälfte der Söhne genotypisch gesund, die andere
Hälfte ist hämophil. 50% der Töchter sind
genotypisch gesund und 50% Konduktorinnen. Statistisch gesehen
tritt also bei 1/4 der Kinder aus solch einer Ehe die
Hämophilie nach außen in Erscheinung.
- Aus der Ehe zwischen einem Hämophilen und einer
Konduktorin würden 50% gesunde und 50% hämophile
Söhne hervorgehen. Die Hälfte der Töchter wäre
Konduktorin, die andere Hälfte aufgrund der homozygoten
Krankheitsanlage hämophil ( Abb. 3 ). Hier würde also
auch eine Hämophilie bei Frauen auftreten, was aber sehr
selten vorkommt. Statistisch gesehen wäre die Hälfte der
Kinder hämophil.
Das defekte Gen im X-Chromosom wird ohne jegliche Veränderung
weitervererbt, so daß die Schwere der Hämophilie im
Laufe der Generationen nicht abnimmt. (nach: Lit. 1, S. 52/53; Lit.
2, S. 10/11; Lit. 4, S. 395-397)
2.2 Ziele der Behandlung
Durch die Behandlung soll dem Körper der fehlende bzw.
nicht ausreichend vorhandene Faktor IX zugeführt werden. Dies
geschieht durch die intravenöse Substitution, die folgende
Ziele hat:
Frühbehandlung bei akuter Blutung ( Blutung wird so schnell
wie möglich erkannt und dann wird gespritzt, um die Blutung zu
stoppen und Folgeschäden zu vermeiden)
Verhütung von Blutungen durch Dauerbehandlung
Erhaltung und/oder Wiederherstellung von Gelenkfunktionen ( vor
allem bei älteren Hämophilen )
Integration des Hämophilen in ein normales soziales Leben
(nach: Lit. 2, S. 17; Lit. 5, S. 66)
2.3 Substitutionsbehandlung
Bei der Substitutionsbehandlung wird ein Faktor IX-Konzentrat
intravenös gespritzt. Faktor IX ist schon gentechnologisch
herstellbar und wird in den USA auch gespritzt. Hier in Deutschland
jedoch wird das gentechnologisch hergestellte Faktor IX-Konzentrat
noch in klinischen Studien auf Wirksamkeit und Verträglichkeit
hin getestet. Bis Ende dieses Jahres wird es wahrscheinlich aber
auch hier zugelassen werden. Zur Zeit wird das Konzentrat fast
ausschließlich aus menschlichem Blutplasma gewonnen.
Je nach Schweregrad der Hämophilie und Alter des Patienten
wird eine unterschiedliche Art der Behandlung durchgeführt.
Zum einen gibt es die Dauerbehandlung, bei der alle 72 Stunden bzw.
3x pro Woche gespritzt wird, weil das Faktor IX-Konzentrat eine
Halbwertzeit von ca. 16 Stunden hat, nach denen der Faktor nur noch
die Hälfte seiner ursprünglich substituierten
Aktivität besitzt. Zum anderen gibt es die Behandlung nach
Bedarf, bei der bei einer akuten Blutung oder z.B. vor einer
Operation o.ä. gespritzt wird. Die Höhe der zu
spritzenden Einheiten hängt sowohl vom Körpergewicht als
auch vom Alter des Patienten ab. Bis zum Ende der Wachstumsphase
steigt die Dosis mit dem Körpergewicht, danach sinkt sie
wieder, weil nun die Blutungsgefahr geringer wird. Im Alter von
11/12 Jahren ist diese meistens am höchsten.
2.3.1 Behandlung im Kindes- und Jugendalter
Bei schwerer Hämophilie wird die Dauerbehandlung
durchgeführt, um ein recht normales Leben des Hämophilen
zu erreichen. Beginn der Behandlung ist meistens gegen Ende des
ersten Lebensjahres. Beendigt wird die Dauerbehandlung in der Regel
nach Ende der Wachstumsphase, da danach die Blutungsgefahr abnimmt.
Durchschnittlich erhält der Hämophile eine Dosis von
20-30 Einheiten (E) / kg Körpergewicht. Eine Einheit
enthält soviel Faktor IX wie ein Milliliter Normalplasma.
Normalerweise müßte alle 72 Stunden gespritzt werden, da
dies aber sehr schwierig ist, wird an drei festen Tagen in der
Woche gespritzt. Zusätzlich zur Dauerbehandlung muß auch
bei Bedarf gespritzt werden, z.B. bei akuten Blutungen oder vor und
nach operativen Eingriffen. Bei Gelenk- und Muskelblutungen liegt
die mittlere Initialdosis bei 30-40 E / kg Körpergewicht, bei
lebensbedrohlichen Blutungen wie z.B. der Hirnblutung liegt die
Initialdosis sogar bei 50-70 E / kg Körperg wicht. Diese
Behandlung wird je nach Schwere der Blutung bis zu vier Tage lang
durchgeführt, bei Operationen bis zum Abschluß der
Wundverheilung. Dabei sollte in Abständen von 12-24 Stunden
gespritzt werden, um den Faktor IX-Plasmaspiegel konstant zu
halten.
Bei einer mittelschweren oder leichten Hämophilie wird
normalerweise nur bei Bedarf gespritzt. Hier beträgt die
Initialdosis bei Gelenk- und Muskelblutungen 20-40 E / kg
Körpergewicht, bei lebensbedrohlichen Blutungen ebenfalls
50-70 E / kg Körpergewicht. Die Behandlungsdauer ist die
gleich wie bei schwerer Hämophilie. Eine Dauerbehandlung wird
nur durchgeführt, wenn die Blutungshäufigkeit hoch ist.
(nach: Lit. 5, S.67)
2.3.2 Behandlung im Erwachsenenalter
Die Behandlung der schweren Hämophilie im Erwachsenenalter
hängt vom einzelnen Patienten ab. Die einen erhalten eine
Behandlung nach Bedarf, die anderen eine Dauerbehandlung. Die
Behandlung bei Bedarf erfolgt genauso wie die bei mittelschwerer
und leichter Hämophilie im Kindesalter. Die Dauerbehandlung
wird bei Rezidivblutungen, d.h. bei wiederkehrenden Blutungen, mit
der Gefahr irreversibler Schäden und bei besonderer
körperlicher und psychischer Belastung durchgeführt. Bei
Rehabilitation einer Behinderung durch Blutungen beträgt die
durchschnittliche Dosis 20-30 E / kg Körpergewicht bei
mindestens dreimaligem Spritzen in der Woche. Die mittelschwere und
leichte Hämophilie im Erwachsenenalter wird in der Regel
genauso behandelt wie die im Kindesalter, normalerweise mit
Behandlung bei Bedarf, in Ausnahmen mit Dauerbehandlung. (nach:
Lit. 5, S. 67/68)
Vorbeugen ist besser als nachbehandeln, auch wenn die
Substitutionsbehandlung, wie schon einmal erwähnt, sehr teuer
ist. 1000 Einheiten kosten ca. 1000,- DM und bei einer schweren
Verlaufsform der Hämophilie mit Dauerbehandlung und
häufigen Blutungen kann man sich vorstellen, wie teuer das
wird. Doch unbehandelte Gelenkblutungen führen unweigerlich
zur Verkalkung und zum Verkapseln der Gelenke, so daß vielen
Hämophilen der Rollstuhl oder eine Gehbehinderung nicht
erspart bliebe. Die Folgen unzureichend behandelter Hämophilie
sieht man noch an vielen älteren Hämophilen, deren
Rehabilitation heute viel mehr kostet, als wenn man damals
hätte vorbeugen können.
2.3.3 Behandlung von Konduktorinnen
Auch Konduktorinnen für Hämophilie müssen vor und
nach größeren Operationen behandelt werden, wenn in der
Familie eine schwerer Verlaufsform der Hämophilie vorliegt.
Denn dann ist der für eine Operation notwendige Plasmaspiegel
an Faktor IX zu gering und muß mit der
Substitutionsbehandlung erhöht werden. Es wird das gleiche
Faktor IX-Konzentrat gespritzt wie bei einem Hämophilen mit
Hämophilie B. Bis zum Abschluß der Wundverheilung wird
morgens und abends gespritzt, um den Faktor IX-Plasmaspiegel
konstant zu halten. Dazu werden in gewissen Abständen
Gerinnungsanalysen gemacht, um festzustellen, ob die Dosis
erhöht werden muß oder erniedrigt werden kann (siehe
dazu auch Bilder 9 und 10).
2.4 Mögliche Nebenwirkungen und Risiken der
Substitutionsbehandlung
Ein Risiko, das durch die Virusinaktivierungsverfahren seit
ungefähr 1985 aber fast ausgeschlossen ist, ist die
Übertragung von Viren durch eine Infektion eines Blutspenders.
Vor allem die Hepatitisviren wurden damals auf viele Hämophile
übertragen, und in der Zeit von 1983-1985 infizierten sich
etwa 2000 Hämophile aus den alten Bundesländern mit
HIV.
Eine immunologische Reaktion des Körpers auf
Eiweißbestandteile des Faktorenkonzentrates kann eine
mögliche Nebenwirkung der Substitutionsbehandlung sein.
Eine schwerwiegende, aber seltene Komplikation ist die
Hemmkörper-Hämophilie ( ca. 20-30% bei Patienten mit
schwerer Hämophilie A, 1-2% bei schwerer Hämophilie B ).
Bei dieser Art von Hämophilie bilden sich Antikörper, die
Faktor VIII bzw. IX inaktivieren, so daß trotz
Substitutionsbehandlung keine vollständige Blutgerinnung
stattfinden kann. Die Behandlung ist sehr aufwendig und teuer und
bedeutet eine große psychische und physische Belastung
für den Patienten und seine Familie, da zweimal täglich
über eine lange Zeit hinweg eine hohe Dosis an
Faktorenkonzentrat gespritzt werden muß und der Erfolg dieser
Therapie nicht gesichert ist. (nach: Lit. 1, S. 71-73; Lit. 2, S.
21/22; Lit. 6, S. 46/47)
3. Vererbung und Behandlung von Hämophilie B am Beispiel
des Hämophilen P.
3.1 Entstehung und Vererbung - von der sporadischen zur
familiären Hämophilie
Nachdem bei P. herausgefunden worden war, daß er
Hämophilie B hat, begann die Suche nach den Ursachen. Nach den
Gesetzen der Vererbung mußte er die Krankheit eigentlich von
der Mutter haben. Da aber auch eine Neumutation möglich
gewesen wäre, wurde das Blut von beiden Elternteilen auf
Veränderungen in den Genen hin untersucht. Bei der Mutter
wurde dann das gleiche defekte Gen in einem X-Chromosom gefunden
wie bei P., so daß daraufhin sowohl das Blut von P.s
Schwester als auch das von den Großeltern, Tanten und deren
Kindern mütterlicherseits untersucht wurde. Bei seiner
Schwester fand man ebenfalls das defekte Gen, bei allen Verwandten
mütterlicherseits aber nichts. Vor allem bei den Eltern von
P.s Mutter wurde natürlich gründlich nach der
Krankheitsanlage gesucht. Da aber nichts gefunden wurde,
mußte man davon ausgehen, daß eine Mutation entweder in
den Eizellen der Großmutter oder in den Samenzellen des
Großvaters stattgefunden haben muß. Danach wurde das
defekte Gen dann ganz normal nach dem X-chromosomal-rezessiven
Erbgang weitervererbt. Das Erstauftreten der Hämophilie bei P.
wird als sogenannte "sporadische Hämophilie" bezeichnet. Eine
in den nächsten Generationen möglicherweise auftretende
Hämophilie heißt dann "familiäre
Hämophilie".
3.2 Erkennung und Erstbehandlung der Hämophilie B bei
P.
1986 wurde P. geboren, und in den ersten Monaten fiel nicht
Ungewöhnliches an ihm auf. Doch dann bekam er ohne
ersichtlichen Grund blaue Flecken. Da diese mit der Zeit auch nicht
weggingen, sondern im Gegenteil noch größer wurden,
suchten P.s Eltern den Kinderarzt auf, der aber auch nichts
feststellen konnte. Den ersten großen blauen Fleck hatte P.
auf der Wange, so daß der Arzt vermutete, es könne mit
den Ohren zusammenhängen. Doch dieser Verdacht stellte sich
als nichtig heraus. Die nächste Vermutung war ein Vitamin K -
Mangel. Vitamin K ist zur Blutgerinnung notwendig, und bei einem
Mangel treten gehäuft blaue Flecken auf. Bei einem gestillten
Säugling kommt dieser Mangel gelegentlich vor, und so lag
diese Vermutung sehr nahe. P. bekam Vitamin K gespritzt, und man
war überzeugt, das Auftreten der blauen Flecken nun behoben zu
haben. Als P. jedoch wieder blaue Flecken bekam, wurde er in die
Kinderabteilung der Neuwieder Klinik eingewiesen. Dort wurde
festgestellt, daß kein Vitamin K - Mangel bestand. Ein Arzt
kam dann auf die Idee, eine Gerinnungsuntersuchung von P.s Blut
durchführen zu lassen. Noch am selben Tag brachten P.s Eltern
persönlich das Blut nach Bonn ins "Institut für
experimentelle Hämatologie und Bluttransfusionswesen". Als die
Eltern am nächsten Morgen ins Krankenhaus kamen und sahen,
daß das Bettchen von P. weich ausgepolstert und alle
härteren Spielsachen herausgenommen worden waren, war ihnen
sofort klar, daß ihr Sohn hämophil ist; P. war
inzwischen vier Monate alt. In Bonn hatte man festgestellt,
daß er an einer schweren Hämophilie B leidet. Das
bedeutet, daß ihm der für die Blutgerinnung notwendige
Faktor IX fast ganz fehlt. Aus diesem Grund bekam er in der
Hämophilie-Abteilung des Bonner Institutes eine Spritze mit
Faktor IX-Konzentrat. Da die Säuglingszeit normalerweise ohne
Blutungen verläuft, bekam P. den Rest seines ersten
Lebensjahres keine Spritze mehr. Es wurde natürlich besonders
darauf geachtet, daß er sich nirgendwo stoßen oder
verletzen konnte.
3.3 Ambulante Substitutionsbehandlung
Als P. dann anfing zu krabbeln, versuchte man die Auswirkungen
von Stößen zunächst einmal zu mildern, indem man
zum einen die Kleidung an Knie- und Ellebogengelenken auspolsterte
und zum anderen scharfe Kanten im Haus vermied. Mit zunehmendem
Alter wurde P. natürlich immer mobiler, und die blauen Flecken
häuften sich. So entschloß man sich schließlich,
als P. ein Jahr alt war, mit der Dauerbehandlung zu beginnen.
Zunächst wurde in der Hämophilie-Abteilung des Bonner
Institutes ein Behandlungsplan erstellt, wie oft P. gespritzt
werden sollte und wieviel Einheiten er erhalten sollte. Anfangs
wurde in Bonn gespritzt, dann übernahm der Kinderarzt der
Familie die Behandlung. Dies war keine leichte Aufgabe, denn da die
Hämophilie im Studium nur kurz angeschnitten wird, mußte
dieser Arzt sich erst einmal informieren und in dieses Thema
einarbeiten. Außerdem war es nicht leicht, ein
einjähriges Kleinkind dreimal in der Woche zu spritzen, dazu
noch intravenös. Da bei einem Kleinkind die Venen noch sehr
schwer zu treffen sind, wurde P. in die Kopfvene gespritzt. So
konnte man ihn auch besser festhalten, als wenn er z.B. in eine der
Armvenen gespritzt worden wäre.
Pro Substitution bekam P. 250 Einheiten gespritzt. Bis zu seinem
vierten Lebensjahr fuhren seine Eltern also dreimal in der Woche
mit ihm zum Kinderarzt, bei größeren Blutungen zum
Bonner Institut, da der Kinderarzt nicht das Fachwissen hatte, um
entscheiden zu können, wie schwerwiegend eine Blutung war und
wieviel Einheiten gespritzt werden mußten. Natürlich
entwickelten auch die Eltern allmählich ein Gefühl
dafür, wie schwer eine Blutung war, so daß sie sich dazu
entschlossen, die Heimselbstbehandlung zu erlernen.
3.4 Heimselbstbehandlung
Als P. vier Jahre alt war, entschlossen sich seine Eltern zur
Erlernung der Heimselbstbehandlung, um eine gewisse
Unabhängigkeit von den Ärzten zu bekommen und im Falle
einer akuten Blutung schneller reagieren zu können. Zuerst
lernte die Mutter, etwas später der Vater, die Substitution
selbst durchzuführen. Dazu fuhr sie ein- bis zweimal pro Woche
nach Bonn. In der Hämophilie-Abteilung des Institutes bekam
sie dann erklärt und gezeigt, wie man Blutungen rechtzeitig
erkennt und wie man das Faktor IX-Konzentrat dosiert, auflöst
und injiziert. In Rücksprache mit dem Hämophilie-Zentrum
konnte P. ab diesem Zeitpunkt zuhause behandelt werden und
mußte nur noch bei schwer einzuschätzenden Blutungen und
zur allgemeinen vierteljährlichen Untersuchung nach Bonn.
Am Anfang wurde er immer noch in die Kopfvene gespritzt,
später kamen dann die Armvenen hinzu. Heute wird er nur noch
abwechselnd in die Armvenen gespritzt, manchmal auch in die Hand,
denn es kann schon einmal vorkommen, daß die Vene
durchstochen oder nicht getroffen wird. Dann wird die Substitution
an dieser Vene abgebrochen und an einer anderen fortgesetzt. So
kann es passieren, daß ziemlich oft gestochen werden
muß, und am Ende Eltern und Kind mit den Nerven fertig
sind.
Mit zunehmendem Alter bekam P. natürlich auch mehr Einheiten
gespritzt. Als P. vier Jahre alt war, waren es 250 Einheiten, heute
sind es 600 Einheiten pro Substitution. Bei einer akuten Blutung
erhält er heute 3600 Einheiten pro Tag, 1800 Einheiten morgens
und 1800 Einheiten abends, je nach Schwere der Blutung bis zu 14
Tagen lang.
P. ist jetzt fast elf und kann sich seit ca. 1 1/2 Jahren selbst
spritzen (siehe Bild 4). Er dar die Substitution zur Zeit
natürlich nur unter Aufsicht des Arztes oder eines Elternteils
durchführen, aber wenn er noch etwas älter ist und selbst
die Verantwortung für sein Handeln übernehmen kann, hat
er so eine Unabhängigkeit von den Eltern, wenn er z.B. auf
Klassenfahrt geht. Wegen dieser Unabhängigkeit und
Selbständigkeit befürworten es die Ärzte auch , wenn
ein hämophiler Junge schon früh lernt, sich selbst zu
spritzen.
3.5 Gefahr durch die Behandlung
Nachdem zwischen 1983 und 1985 viele Hämophile mit dem
HI-Virus infiziert wurden, war es seit 1985 für alle
Hersteller von Gerinnungspräparaten gesetzlich vorgeschrieben,
Virusinaktivierungsverfahren durchzuführen. Seitdem galten die
Präparate als sicher.
Anfang 1990 wurde bekannt, daß sich bei einem Patienten mit
Hämophilie B HIV-Antikörper gebildet hatten. Da dieser in
den letzten Jahren nur mit dem PPSB-Konzentrat der Firma Biotest
behandelt worden war, mußte in diesem Konzentrat, in der
Charge 1601089, der HI-Virus gewesen sein. Man versuchte nun, alle
mit dieser Charge behandelten Hämophilie B-Patienten zu
warnen. P. gehörte auch zu diesen Patienten und wurde
nachweislich drei Monate mit HIV-positivem Material gespritzt.
Daraufhin mußte er ein halbes Jahr lang alle 6 Wochen ins
Bonner Institut zum HIV-Antikörpertest. Doch P. hatte
großes Glück und wurde nicht infiziert. Von 25 Kindern,
die mit dieser Charge behandelt wurden, wurden 10 HIV-positiv.
Warum die anderen sich nicht infiziert haben , ist unklar. Man
vermutet aber, daß es zum einen mit den Genen und zum anderen
mit dem Immunsystem, wahrscheinlich aber auch noch mit vielen
anderen, unbekannten Faktoren, zusammenhängt. (nach: Lit. 7,
S. 34-36)
4.1 Vererbungsmöglichkeiten der Hämophilie bei
P.
Wenn P. einmal heiratet, wird er sich die Frage stellen : Werden
meine Kinder gesund sein ? Bei ihm ist die Situation, wenn er eine
gesunde Frau heiratet, einfacher als z.B. bei seiner Schwester.
Alle seine Söhne werden gesund sein, alle seine Töchter
Konduktorinnen. Er wird also bei seinen Kindern keine
Hämophilie zu behandeln haben. Diese tritt, wenn er
Töchter bekommt, frühestens bei seinen Enkeln wieder auf.
Nur wenn er eine Konduktorin heiraten würde, würde die
Hämophilie mit 50%-iger Wahrscheinlichkeit auftreten; diesmal
könnte auch eine Tochter betroffen sein
4.2 Neue Behandlungs- und Heilungsmöglichkeiten
4.2.1 Gentechnologisch hergestellter Faktor IX
Der gentechnologisch hergestellte Faktor IX wird die
nächste Behandlungsmöglichkeit sein, da die Herstellung
schon gelungen ist. Dabei wird das Gen, das für die Faktor
IX-Produktion verantwortlich ist, in Hamsterovar- oder
Hamsternierenzellen eingeschleust, die die Erbinformationen
für die Produktion in ihre DNS einbauen und dann den Faktor IX
bilden. Zur Zeit wird in klinischen Studien noch die
Verträglichkeit und Wirksamkeit dieser Präparate
getestet. Aber voraussichtlich wird schon gegen Ende dieses Jahres
auch der gentechnologisch hergestellte Faktor IX zugelassen werden,
so daß dann alle Hämophilie B-Patienten diese
Möglichkeit nutzen können.
4.2.2 Lebertransplantationen
Eine Lebertransplantation heilt die Hämophilie
phänotypisch, da die Leber die Bildungsstätte der
Gerinnungsfaktoren VIII und IX ist. Aufgrund der Tatsache,
daß eine Lebertransplantation nicht risikolos ist, wird sie
nur bei schweren Leberschäden durchgeführt und nicht, um
nur die Hämophilie zu heilen. Zwischen 1985 und 1991 wurden
bei 11 Patienten mit unterschiedlicher Hämophilie und
unterschiedlichen Schweregraden der Hämophilie
Lebertransplantationen durchgeführt. Vier Patienten verstarben
entweder an der Operationsfolge oder an Infektionen, die anderen
sind phänotypisch geheilt.
(nach: Lit. 8, S. 70/71)
4.2.3 Gentherapie
Bei der Gentherapie versucht man, in die Zellen eines
Hämophilen ein gesundes Faktor VIII- bzw. IX-Gen einzusetzen.
Diese Zellen sollen dann soviel Faktor VIII bzw. IX produzieren,
daß man zumindest zeitweilig auf die Substitution verzichten
kann. Die Einpflanzung von gesunden Faktor VIII- bzw. IX-Genen in
verschiedene Zellen ist schon gelungen, doch nach einiger Zeit
hörten diese Zellen mit der Produktion wieder auf. Es
müssen also noch viele Versuche gemacht werden, bevor die
Gentherapie in klinischen Studien getestet werden kann, und es wird
sicherlich noch viel Zeit vergehen, bis die Hämophilie damit
geheilt oder zumindest abgeschwächt werden kann. (nach: Lit.
9, S. 16)
5. Literaturverzeichnis
- Kurme, Anatol: Ich bin der Martin: Eine Hämophilie-Fibel
für Kinder
und Eltern. Hamburg: MEDI-A-DERM Verlagsgesellschaft mbH
für
medizinische Publizistik, 1994
- Maurer, Maximilian H.: Hämophilie, aus der Reihe:
Kommunikation
zwischen Partnern: Heft 26. 4.Aufl. 1984
- Informationsblatt der IGH (Interessengemeinschaft
Hämophiler e.V.
Bonn)
- Linder, Hermann: Biologie. 20.Aufl. Hannover: Schroedel
Schulbuch-
verlag GmbH, 1989
- Arbeitsgruppe "Hämophiliebehandlung" der Gesellschaft
für Thrombose
und Hämostaseforschung (GHT) und Ärztlicher Beirat der
Deutschen
Hämophiliegesellschaft (DHG): "Consensus-Empfehlungen zur
Hämo-
philiebehandlung in Deutschland", in:
Hämophilie-Blätter, 3/1993, 27.
Jahrgang, S. 66-69
- Effenberger, W. und E. Schleithoff: "Hämophilie und
Hemmkörper - Ein
Überblick", in: Mitgliederzeitschrift der IGH, 7/96, S.
46-51
- Esdar, H. und A. Kurme: "( HIV-Infektionen bei
Hämophilie-B-Patienten
Unglück oder Versagen ? - Eine Chronologie", in:
Hämophilie-Blätter,
1/1990, 24. Jahrgang, S. 34-37
- Scharrer, I.: "Lichtblicke bei der Behandlung von
Hämophilie und HIV-
Infektion", in: Hämophilie-Blätter, 2/1991, 25.
Jahrgang, S.70/71
- Schlenkrich, U. und W. Voerkel: "Herausforderungen von heute
sind
Siege von morgen", vom: XX. Internationalen Kongreß der
"World Fede
ration of Hemophilia", in: Hämophilie-Blätter, 1/1993,
27. Jahrgang, S. 14-16.
- Anmerkung:
Die Autorin war zum Zeitpunkt der Ausarbeitung dieser Facharbeit in
Biologie(06/1997) 17 Jahre alt, die Arbeit wurde mit der Note 1 -
bewertet.
- Anmerkung d. Webmasters:
Der Text wurde aus Darstellungsgründen um einige
Illustrationen und die Kapitel "Anhang" & "Nachwort"
gekürzt.
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