von W. Effenberger & E. Schleithoff 1. Hemmkörper bei Hämophilie A und B
Hemmkörper sind Antikörper, die vom Immunsystem gebildet
werden und die sich sowohl gegen substiturierten Faktor VIII oder
IX richten, als auch gegen körpereigenen Gerinnungsfaktor,
falls dieser vorhanden ist. Sie neutralisieren die Faktor VIII / IX
Moleküle indem sie sich mit ihnen verbinden und nehmen ihnen
ihre Gerinnungsaktivität. Das Gerinnungssystem wird auf diese
Weise blockiert und das Blut gerinnt nicht. Der Patient hat damit
trotz Substitution das Krankheitsbild einer schweren, unbehandelten
Hämophilie. Die Behandlungsmöglichkeiten im Falle einer
Blutung sind unzureichend.
2. Behandlungsmöglichkeiten
Die Hemmkörper-Bildung ist heute eine der schwerwiegendsten
Komplikationen in der Hämophiliebehandlung. Therapieformen zur
Vermeidung dieser Komplikation existieren bisher nur in der
Theorie.
Zur Behandlung einer Hemmkörper-Hämophilie gibt es
verschiedene Vorgehensweisen. In Deutschland hat sich das von Dr.
Brackmann entwickelte Therapiekonzept der "Induzierten
Immuntoleranz-Entwicklung" durchgesetzt, da es die
höchsten Erfolgsraten hat und sehr arm an Nebenwirkungen ist.
Bei diesem Verfahren wird der Hemm- körper beseitigt, indem
dem Körper zweimal täglich Faktor VIII / IX in hoher
Dosierung zugeführt wird. Die Behandlung dauert allerdings
unter Umständen sehr lange, sie verursacht immense Kosten und
ist psychisch und physisch belastend.
3. Erkrankungsrisiko
Zur Hemmkörperbildung kommt es fas nur in der Anfangsphase
einer Substitutionsbehandlung. Mit jeder Substitution wird die
Wahr- scheinlichkeit, daß noch ein Hemmkörper auftreten
wird, geringer. Nach etwa 100 Injektionen von Gerinnungskonzentrat
kann man davon ausgehen, daß keine Gefahr mehr besteht.
Das Hemmkörperrisiko eines Patienten ist abhängig von
der Art und der Schwere seiner Hämophilie. am häufigsten
betroffen sind Patienten mit schwerer Hämophilie A. Von ihnen
entwickeln etwa 20 - 30 % einen Hemmkörper. Patienten mit
mittelschwerer Hämophilie A sind zu etwa 5 %, Patienten mit
schwerer Hämophilie B zu etwa 1 - 2 % betroffen. Bei allen
anderen Hämophilie-Typen und -Formen ist das Auftreten eines
Hemmkörpers eine extreme Seltenheit. In Familien, in denen
bereits ein Hemmkörper aufgetreten ist, ist das Risiko
erhöht.
Im Rahmen der genetischen Forschung der letzten Jahre wurde
entdeckt, dass die Art des genetischen Fehlers für die
Hemmkörperbildung eine grosse Rolle spielt: je schwerer der
Fehler, desto höher ist das Risiko. Durch die heute
mögliche Analyse des Genfehlers läßt sich daher das
Hemmkörperrisiko noch präziser bestimmen.
4. Aufklärung über das
Hemmkörperrisiko
Da Eltern durch die Hämophiliediagnose ihres Kindes
zunächst gewöhnlich sehr erschüttert und
geängstigt sind, ist es ein wichtiges Ziel der ersten
Aufklärungsgespräch, sie zu ermutigen und ihnen zu
vermitteln, daß die Erkrankung durch die Behandlung gut zu
beherrschen ist.
Gerade die gute Behandelbarkeit der Hämophilie wird durch die
Hemm- körperentwicklung aber in Frage gestellt. Die
Aufklärung über das bestehende Hemmkörperrisiko kann
Eltern daher - kaum daß sie eine gewisse Zuversicht gewonnen
haben - erneut erheblich beunruhigen. Dennoch wird die Problematik
im Bonner Hämophilie-Zentrum bereits zu Beginn der Behandlung
erwähnt und bei Patienten, deren Risiko aufgrund von
Hämophilietyp, Schweregrad oder familiärer Häufung
hoch ist, auch ausführlich erläutert. Dies erscheint uns
in Hinblick auf die hohe Inzidenz unverzichtbar. Unvorbereitet
würden die Eltern durch Komplikationen weit härter
getroffen und ihr Vertrauen in Arzt und Behandlung köönte
Schaden nehmen. Es ist dabei aber wichtig, zugleich die
Grundzüge der Hemmkörper-Therapie zu erläutern und
darzustellen, daß auch diese Behandlungskomplikation
beherrsch- und behandelbar ist.
5. Diagnose des Hemmkörpers und Beginn der
Behandlung
Mit der Diagnose eines Hemmkörpers beginnt ein
äußerst schwieriger Behandlungsabschnitt in der
Hämophiliebehandlung: die Hemmkörper- therapie durch
"induzierte Immuntoleranz". Das bedeutet konkret: Es muß
über lange Zeit hinweg zweimal täglich hodosiert Faktor
VIII / IX injiziert werden (zumindest bei hochtitrigen
Hemmkörpern), wobei es im Blutungsfalle sogar nötig
werden kann, das Substitutionsintervall auf 6-8 Sunden zu
verkürzen. Stationäre Behandlungen lassen sich dann nicht
immer vermeiden. Das Faktorenkonzentrat muß absolut
regelmäßig verabreicht werden, dajede
Unregelmäßigkeit einen Rück- schritt in der
Behandlung verursachen und den Erfolg gefährden kann. Auch
unter äußerst erschwerten Bedingungen, beispielsweise im
Krank- heitsfall, unter äußerster psychischer Belastung,
ja selbst nach zahllosen Fehlversuchen bei der Punktion darf nicht
auf die Substitution verzichtet werden. Hierin liegt eine besondere
Härte. Hinzu kommt, daß Hemmkörperbehandlungen
nicht zu 100 % erfolgreich abgeschlossen werden können. Je
nach Qualität der Therapieführung muß in 10 - 20 %
aller Behandlungen mit einem Therapieabbruch gerechnet werden,
zumeist wegen mangelndem Erfolg. Ob hierbei
Unregelmäßigkeiten bei der Substitution eine Rolle
gespielt haben, läßt sich nicht immer genau
klären.
Die Hemmkörperbehandlung verursacht außerordentliche
Belastungen und sie stellt hohe Anforderungen an die Mitarbeit,
Disziplin und Zuver- lässigkeit aller Beteiligten. Nicht
selten bringt si sie an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit.
Es ist wichtig, dies nicht zu verschweigen und die Betroffenen klar
und ausführlich darauf vorzubereiten. Nur so können
Behandlungsfehler oder gar Abbrüche, die den Erfolg der
Behandlung langfristig zunichte machen können, vermieden und
psychischer Über- belastung vorgebeugt werden. Da die
Patienten selbst bei Auftreten des Hemmköpers fast immer
jünger als 3 Jahre sind, richtet sich die Informationen an die
Eltern. Ganz kleine Kinder gewinnen Sicherheit und Halt
ausschließlich durch eine liebevolle aber auch klare und
überzeugte Haltung ihrer Bezugspersonen. Ältere Kinder
sollten selbst- verständlich altersentsprechend in die
Aufklärung einbezogen werden. Gleiches gilt auch für
Geschwister, die durch die Hemmkörpertherapie, wie auch schon
durch die Hämophilie, immer erheblich mitbelastet werden.
Zentrale Belastungen in der ersten Zeit
Druch Hemmkörper und Hemmkörperbehandlung ergibt sich
für die Betroffenen nicht so sehr eine qualitativ völlig
neue Situation, vielmehr werden schon vorhandene Ängste,
Probleme und Belastungen um ein Vielfaches verschäft.
Die Behandlung erfordert of einen so hohen Zeitaufwand, daß
sie den Tagesablauf völlig bestimmt und die normale
Lebensgestaltung deutlich beeinträchtigt wird. Das gilt
insbesondere dann, wenn die Eltern noch nicht selber spritzen und
für jede Substitution ein Arzt aufgesucht werden muß.
Wenn die Venensituation des Kindes es zuläßt und die
Eltern emotional dazu bereit sind, ist es eine große
Entlastung, mit der Heimselbstbehandlung zu beginnen.
Die Substitution selbst, bei Kleinkindern aufgrund von Venenver-
hältnissen und mangelnder Kooperation oft ohnehin schwierig,
wird durch die hohe Injektionsfrequenz erheblich kompliziert. Kind
und Eltern haben zwischen den einzelnen Behandlungen kaum Zeit,
sich von den Belastungen der Prozedur zu erholen. Oft halten auch
die Venen den Anforderungen nicht stand. Leicht kann es dazu
kommen, daß sich schlechte Venenverhältnisse, Angst
und/oder Widerstand des Kindes, Verunsicherung und Nervosität
der Eltern sowie Fehlversuche bei den Punktionen in einem negativen
Teufelskreislauf gegenseitig verstärten. In dieser Situation
bietet ein Port oft eine Lösungsmöglichkeit - manch- mal
sogar die einzige. In Hinblick auf die hohe Injektionsfrequenz ist
es noch wichtiger als bei der "normalen" Hämophilie, hier
beide Eltern ein- zubeziehen und sie zu einer gutren Kooperation
anzuleiten. Beide benötigen eben den rein technischen Hilfen
auch Unterstützung dabei, das Schmerz- und Angsterleben ihres
Kindes zu bewältigen und ange- messen damit umzugehen.
Zumindest zu Beginn der Hemmkörperbehandlung entspricht die
Gerinnungsfähigkeit des Blutes zwischen den Substitutionen der
einer unbehandelten schweren Hämophilie. Die Patientensind
also zwischen- zeitlich so blutungsgefährdet, daß eine
ständige Beaufsichtigung und verstärkter Schutz
erforderlich sind. Für die Eltern ist die zu Beginn der
Hämophiliebehandlung in Aussicht gestellte Normalität im
Umgang mit ihren Kind nun wieder in Frage gestellt. Sie stehen vor
der kaum lösbaren Aufgabe, hämophilietypische
Verhaltensweisen wie Überbe- hütung und
Einschränkung der kindlichen Sozialkontakte zu vermeiden ohne
das erhöhte Schutzbedürfnis des Kindes zu
vernachlässigen.
Durch Besuche beim Arzt und im Hämophiliezentrum, evtl.
auch durch Aufgabe oder Einschränkung der Berufstätigkeit
entstehen finanzielle Belastungen. Hier ist es hilfreich, sich
über finanzielle und soziale Hilfs- möglichkeiten beraten
zu lassen.
Mit der Verschäfung fast aller hämophilietypischen
Schwierigkeiten wächst sicherlich auch die Gefahr weiterer
bekannter Folgeprobleme; Geschwisterkinder fühlen sich
(berechtigterweise) aufgrund der Inanspruchnahme der elterlichen
Aufmerksamkeit durch das erkrankte Kind benachteitligt, die
sozialen Kontakte und Kontaktchancen der Familie nehmen ab, die
Mütter fühlen sich schuldig und werden leider
tatsächlich auch nicht selten offen oder insgeheim
beschuldigt.
Die genannten Probleme können wohl nicht völlig
vermieden, aber in ihrer Intensität verringert werden. Hierbei
ist es von entscheidender Bedeutung, daß das Kontrollerlerben
der Eltern und - je nach Alter - auch des Kindes gestärkt
wird. Nur wenn die Betroffenen das Gefühl haben,
handlungsfähig zu bleiben, wird es ihnen gelingen,
Überängst- lichkeit und extremes (Mit)leiden einerseits
und Ausblenden der realen Gefährdungen sowie Leugnen der
Belastungen andererseits zu vermeiden...
6. Probleme im weiteren Behandlungsverlauf
Abängig vom Verlauf der Behandlung stellt sich
unterschiedlich schnell raltive "Normalität" im Umgang mit der
Situation her. Die inividuellen Bewältigungsstrategien
stabilisieren sich und evtl. vorhandene Fehlent- wichlungen, wie
z.B. durch Ängstlichkeit, Sorge und Schuldgefühle
gespeiste Überhütungstendenzen oder auch die
Verharmlosung der Erkrankung und Ausblendung der realen Gefahren,
lassen sich schwerer koorigieren. Das sich nun langsam einstellde
Gefühl der Sicherheit ist allerdings labil und wird durch oft
geringfügige äußere Anlässe wieder
gestört.
Große Anspannung verursachen die regelmäßigen
Gerinnungs- kontrollen. Es wird ihnen mit Hoffnung, aber auch Angst
entgegenge- sehen. Während Verbesserungen der Ergebnisse die
Motivation, die Behandlung fortzusetzen, stärken, fürhen
Stagnation und Rückschläge oft zu Gefühlen von
Ermüdung und lähmender Kraftlosigkeit. Behandlungsphasen,
in denen sich der Hemmkörper kaum bewegt, müssen als
äußerst schwierig angesehen werden. Beim geringsten
Anzeichen von Motivationsproblemen, sollten die Patienten darauf
ange- sprochen und Hilfestellung zur Überwindung engeboten
werden..
Bei einem Abbruch der Therapie, ganz gleich, welche Gründe
dazu geführt haben, stellen die Betroffenen natürlich vor
allem die Frage, wie ein unbeschadetes Weiterleben gesichert werden
kann. Neben der Reduktion der Faktor VIII- oder IX-Substitution
kann eine der Prophylaxe bei Hämophilien ähnliche
Behandlung mit regelmäßiger Gabe von Feiba aufrecht
erhalten werden. Die damit zu erzielende Gerinnungssituation stellt
zwar keinen adäquaten aber einen akzeptablen Ersatz für
die bisherige Behandlung dar. Weiterführende heilende
Therapien sind derzeit noch nicht verfügbar.
7. Psychische Folgen der Hemmkörpertherapie
Die meisten Eltern machen sich Sorgen, ob ihr Kind die enormen
Strapazen einer Hemmkörpertherapie seelisch verkraftet.
Obwohl es zu dieser Fragestellung keine systematischen
wissenschaftlichen Untersuchungen gibt, kann man aufgrund
umfassender Beobachtungen doch sagen, daß Patienten, die eine
Hemmkörpertherapie erfolgreich abgeschlossen haben, nicht
auffallend häufiger gravierende psychische Probleme haben als
ander Hämophile. Auch das Verhältnis zur eigenen
Behinderung scheint sich durch eine Hemmkörpertherapie nicht
zu verschlechtern.
Natürlich können "Kritische Lebensereignisse", wie z.B.
eine Hemm- körpertherapie, durchaus emotionale Probleme
bedingen. Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen
bestätigen das. Sie können im Einzelfall aber ebensogut
als Herausforderung erlebt werden und einen Reifeprozeß
auslösen. Die "objetiven Belastungsfaktoren" beeinflussen die
seelische Stabilität erst dann negativ, wenn sie von
entsprechenden Gefühlen extremer jubjetiver Belastung und
Ohnmacht begleitet werden. Man kann vermuten, daß der
erfolgreiche Abschluß einer Hemmkörper- behandlung bei
den Patienten das Gefühl, die Hämophilie kontrollieren zu
können, stärkt und damit langfristig ihr subjektives
Gefühl von Belastung verringert. Ob eine solch optimistische
Beurteilung auch bei Patienten mit erfolglos abgebrochener Therapie
zulässig ist, muß aller- dings bezweifelt werden.
Während schwerwiegende seelische Dauerschäden also
kaum zu befürchten sind, muß man mit
vorübergehenden psychischen Beeinträchtigungen und
Belastungsreaktionen durchaus rechnen.
Das Kind erlebt während der Hemmkörperbehandlung
erheblichen zusätzlichen Stress, vor allem durch die zweimal
täglichen Injektionen, aber auch durch die erhöhte
Anspannung der Eltern (insbesondere beim Spritzen , aber auch im
normalen Tagesablauf). Infogedessen sind erhöhte Unruhe,
Konzentrations- und Steuerungsprobleme, evtl. auch
Aggressivität bei Hemmkörperkinder nicht ganz
ungewöhnlich. Gemildert werden kann dieser Stress nur dadurch,
daß Eltern und medizinische Helfer möglichst ruhig und
gelassen bleiben und das Kind erlebt, daß die täglichen
Punktionen schnell und komplikationslos vorübergehen.
Erklärungen und Apelle an die Vernunft sind dagegen
insbesondere bei sehr kleinen Kindern ehrer wirkungslos und
verringern die Anspannung und die Erwartungsangst kaum.
Bei älteren Kindern und Jugendlichen, die nicht mehr
vorwiedend im Augenblich leben sondern schon eine
größere Zeitperspektive haben, haben wir gelegentlich
auch depressive Stimmungsbeeinträchtigungen beobachtet. Sie
treten typischerweise in solchen Therapiephasen auf, in denen kein
Fortschritt zu erkennen ist und werden vermutlich durch intensive
Gefühle von Hilflosigkeit und Ohnmacht ausgelöst.
Auch für Eltern sind solche Phasen besonders schwer zu
ertragen.
Im Einzelfall kann man Spuren der enormen Belastungen auch noch
nach Jahren finden. Vor allem traumatische Erlebnisse beim Spritzen
können gelegentlich recht lange andauernde Nachwirkungen
verursachen. So reagiert beispielsweise ein Kind, das bei den
Injektionen auf extreme und als gewaltsam erlebte Weise
festgehalten wurde, auch später noch äußerst
empfindlich auf jede Art von Bewegungseinschränkung und
ließ sich sogar kaum umarmen. Ein anderes Kind war
später nicht mehr dazu zu bewegen die Venen zu benutzen, in
die es während seiner Säuglingszeit immer gespritzt
worden war, obwohl es an die schlimmen Erlebnisse keinerlei
Erinnerung mehr hatte.
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