Interferontherapie eines HCV-infizierten Hämophilen
Vorgeschichte
Ich, Günter Schelle, 49 Jahre alt, verheiratet mit Karin, Vater von zwei erwachsenen Kindern, bin Hämophiler mit einer mittelschweren Verlaufsform und weiß, dass ich seit 1975 an Hepatitis erkrankt bin. Zunächst wurde die Krankheit als Non- A / Non-B-Hepatitis, später dann als Hepatitis C diagnostiziert.
Der genaue Infektionsherd kann wohl im Nachhinein nicht mehr festgestellt werden, der Genotyp 2 b spricht eher für eine Berufskrankheit (zum Infektionszeitpunkt war ich Kranken- und Unterrichtspfleger in einem mittelgroßen Krankenhaus im Rheinland), dennoch ist eine Infektion durch verseuchte Blutpräparate ebenso wenig auszuschließen.
Ich lebe also seit 27 Jahren mit der Krankheit und bin bis vor wenigen Monaten eigentlich auch recht leidlich damit ausgekommen. Die Leberwerte waren über all die Jahre mittelmäßig erhöht (SGOT 35 - 45, SGPT 33 - 54, G_GT 66 - 91), die Leberleistung immer im akzeptablen Maß, Anzeichen für Fettleber oder Zirrhose waren nicht feststellbar.
Zwar habe ich in den letzten zwei Jahren eine zunehmende Leistungseinschränkung bzw. eine abnehmbare Belastbarkeit feststellen müssen, auch wurden schließlich die Müdigkeit und allgemeine Abgeschlagenheit immer schlimmer, Sex fand im letzten Jahr so gut wie gar nicht mehr statt (für einen Ende 40 Jährigen zumindest ungewöhnlich), dennoch habe ich die von den Fachärzten angeregte Interferontherapie permanent aufgeschoben. Ich war ja der Überzeugung, dass es bei mir noch nicht so schlimm sei, die Nebenwirkungen beherrschbar waren und weiter die Hoffnung auf noch wirksamere Medikamente ohne gravierende Nebenwirkungen bestand.
So ganz langsam wach und aufmerksam wurde ich dann im vergangenen Jahr, als die Meldungen über stärkere Beschwerden bei vielen HCV-infizierten IGH-Mitgliedern kontinuierlich zunahmen und erste Freunde von mir durch zunehmend rasantem und dramatischem Krankheitsverlauf transplantiert werden mussten.
Aber immer noch war ich nicht soweit, um mich endgültig zu einer Therapie entschließen zu können. Zwar nahm ich das Angebot meiner Hämophiliebehandler an, mich bei den Leberspezialisten der Bonner Uni beraten zu lassen, aber selbst da teilte man teilweise meine Bedenken und vor allem meine Sorgen wegen der Nebenwirkungen und bestand nicht unbedingt auf den sofortigen Beginn einer Interferon-Therapie.
Anfang des Jahres 2003 gab es dann doch den entscheidenden Anlass, mich ernsthaft mit dem Beginn einer Kombi-Therapie zu befassen. Meine Leberwerte stiegen dramatisch an und pendelten sich über einen längeren Zeitraum bei extrem hohen Werten ein (SGOT zwischen 200 - 320, SGPT 300 - 400, G_GT 430 - 613).
Therapiebeginn
Nach vielen Vorgesprächen entschloss ich mich Anfang Juni 2003, mit der Behandlung zu beginnen. Es wurde eine kombinierte Therapie vereinbart, die aus pegyliertem Interferon (Pegasys 180 ugr, 1 mal wöchentlich) und Ribavirin (1000 mg täglich) bestehen sollte. Als Behandlungsdauer wurde wegen des günstigen Genotypen (2b) zunächst sechs Monate vereinbart.
Dennoch fiel es mir am Anfang sehr schwer, endgültig zu starten. Mich beschlich eine ziemliche Panik, weil ich nicht wusste, was da auf mich zukommt. Gerade auch deswegen, weil ich mich auf Anraten des Leberspezialisten Dr. Caspari sehr intensiv mit den Beipackzetteln beschäftigt habe und es eigentlich nichts gab, was nicht als Nebenwirkung zu erwarten war.
Nach Absprache mit dem Hämophiliezentrum begann ich zunächst am 5. Juni 2003 mit den Ribavirin-Tabletten und sollte dann relativ zügig auch mit den Interferon-Spritzen nachziehen. Hier ließ ich mir allerdings noch bis zum 7. Juni 2003 Zeit, bis ich mir todesmutig die erste Spritze setzte.
Ich habe seit Beginn der Therapie ein Tagebuch geführt, in dem ich zunächst täglich, später periodisch ausführlich über den Behandlungsverlauf berichtet habe. Dieses Tagebuch konnte und kann über die IGH-Internetseiten www.igh.info eingesehen werden, wer keinen Internetanschluss hat und sich dennoch informieren möchte, kann das Tagebuch auch über die IGH-Geschäftsstelle anfordern.
Warum ein Tagebuch über den Therapieverlauf?
Aus eigener Erfahrung und aus vielen Gesprächen als Geschäftsführer der IGH mit Gleichbetroffenen weiß ich, wie schwierig es ist, die Krankheitszeichen richtig zu deuten und rechtzeitig mit einer Therapie zu beginnen. Ich selbst habe mich viel zu lange belogen, weil mir einfach die vielen Beispiele der schlimmen Nebenwirkungsverläufe bei anderen Blutern, aber auch bei anderen Infizierten große Angst gemacht haben. Ich hatte mir im Laufe der Zeit eine fast schon meisterhafte Verdrängungstaktik zu eigen gemacht, um mir immer wieder glauben zu machen, dass ich ja noch "sooo viel Zeit" habe.
Ich hatte mich dann vor Beginn meiner eigenen Therapie intensiv mit den Schicksalen von Betroffenen beschäftigt, sehr hilfreich war und ist dabei die Seite www.hepatitis-c.de, in der viele Betroffene über ihr Schicksal und vor allem über den oft erfolgreichen und manchmal leider nicht erfolgreichen Verlauf berichten. Dies hilft enorm weiter.
Gleichzeitig glaubte ich, wenn ich mit Beginn meiner Therapie mehr oder weniger regelmäßig über meinen eigenen Verlauf berichtete, dass ich anderen Blutern bzw. Hepatitis-C-Infizierten, die ebenso wie ich viel zu lange gewartet haben, einen Teil ihrer Angst nehmen und ihnen den Mut geben könnte, bald mit der Therapie zu beginnen.
Gleichzeitig wollte ich mir mit meiner regelmäßigen Berichterstattung natürlich auch selbst helfen, damit ich bei den ersten heftigeren Nebenwirkungen, die ohne Zweifel bald einsetzen würden, nicht so schnell aufgeben und mir immer neue Ziele setzen wollte, um weiterzumachen.
Therapieverlauf
Zusammenfassend muss ich sagen, dass ich die Therapie sehr schlecht vertragen habe. Die Nebenwirkungen waren heftig und haben sich über die gesamte Behandlung hingezogen. Es begann zunächst, wie bei allen Patienten, wenige Stunden nach Behandlungsbeginn mit heftigem Schüttelfrost und hohem Fieber. Hier waren mir die verschriebenen Paracetamol-Tabletten eine große Hilfe und konnten die Beschwerden doch gut lindern.
Allerdings verursachten die regelmäßige Einnahme von Paracetamol heftigste Magenschmerzen mit Übelkeit und Erbrechen, die nach dem endgültigen Absetzen der Tabletten aber auch bald wieder nachließen.
Mein Essverhalten änderte sich sehr schnell. War ich vor der Therapie ein begeisterter Fleischesser, so bevorzugte ich plötzlich Salate, Joghurts, Obst usw. und konnte gebratenes Fleisch oder Geflügel nicht mehr "riechen". Insgesamt habe ich während der Therapie 16 Kilogramm Körpergewicht verloren, was ich im Nachhinein nicht bedauere, ich fühle mich eigentlich sehr wohl dabei. Berichte anderer Betroffener lassen allerdings befürchten, dass sich das Gewicht sehr schnell wieder verändern wird.
Alkohol war spätestens mit meiner Entscheidung zum Beginn der Interferonbehandlung tabu. Zwar hatte ich auch vorher nur gelegentlich einmal ein Glas Wein oder Bier getrunken, dennoch wollte ich den Behandlungsverlauf nicht wegen Alkoholkonsum leichtfertig gefährden.
Heute, nach Therapieende, habe ich zwar bei einem gemütlichen Abendessen zusammen mit meiner Frau einmal ein Glas Wein probiert, muss allerdings feststellen, dass mir Fruchtsäfte und Mineralwässer inzwischen besser schmecken.
Das körperliche Befinden stellte für mich ein großes Problem dar, schon wenige Tage nach Beginn der Behandlung war ein starker Leistungsabfall festzustellen. Ich benötigte viele Ruhephasen und schlief sehr viel. Zwar konnte ich morgens in aller Regel gut aufstehen und war zunächst auch immer voller Tatendrang, nach wenigen Stunden setzte jedoch regelmäßig ein starker Konzentrationsabfall ein, ein konstruktives Arbeiten war eigentlich ab dem frühen Nachmittag kaum möglich. War ich früher ein regelrechter "Nachtarbeiter", war jetzt spätestens um 20.00 Uhr Nachtruhe vorgegeben. Der Schlaf selbst war bis auf wenige Ausnahmen gut und tief, das hat vieles erleichtert.
Als großer Naturliebhaber fiel es mir schwer, dass ich selbst meine täglichen "Spaziergänge" mit meinem Labrador auf ein Minimum beschränken musste. Waren wir früher zusammen täglich mindestens zwei Stunden im Siebengebirge unterwegs, reichten die Akkus für maximal 20 Minuten. Der Hund hat sicher sehr darunter gelitten.
Die körperlichen Beschwerden begannen wenige Tage nach Behandlungsbeginn mit heftigen Rücken- und Gliederschmerzen. Zeitweise hatte ich das Gefühl, als hätten sich Millionen von Ameisen auf meiner Haut eingenistet, zum Teil wusste ich nicht, wie ich die Kleidung auf der Haut vertragen sollte.
Was mir Angst machte, war das Nachlassen der Konzentrationsfähigkeit. Einige Wochen nach Therapiebeginn stellte ich fest, dass ich in Gesprächen plötzlich den Faden verloren habe und nicht mehr wusste, worum es ging.
Problematisch war die gesellschaftliche Isolation. Ich war nicht willens und in der Lage, irgendwelche Termine zu vereinbaren oder Freunde zu treffen und habe mich weitestgehend in ein "Schneckenhaus" zurückgezogen. Dies wurde zunehmend auch ein großes Problem für meine Frau, weil sie außer den eigenen vier Wänden und einem unausstehlichen Ehemann kaum noch gesellschaftliche Kontakte hatte. Nur ganz wenige Male habe ich es geschaftt, hier auszubrechen und dennoch einmal mit Karin auszugehen. Dies waren dann allerdings auch besonders schöne Momente.
Das allergrößte Problem stellte während der gesamten Therapie mein Verhältnis zu meiner Frau dar. Ich stellte einige Zeit nach Behandlungsbeginn eine auffällige Wesensveränderung fest: Ich wurde gereizt, aggressiv und ließ regelmäßig "Dampf" bei meiner Frau und den Kindern (wenn sie mal zu Besuch waren) ab. Dies hat zu riesigen Spannungen geführt. Zwar war meine Familie vor Beginn der Interferonbehandlung auf diesen zu erwartenden Zustand hingewiesen worden, dennoch war es zeitweise so schlimm, dass Karin mich "zwangsweise" zur Ruhigstellung in die Klinik einweisen wollte.
Die Laborwerte veränderten sich wenige Wochen nach Behandlungsbeginn derart negativ, dass zur Vermeidung von gesundheitlichen Schäden die Therapie mehrfach verändert bzw. reduziert werden musste, zuletzt auf eine sogenannte "Erhaltungsdosis" von nur noch 90 ug Interferon und 800 mg Ribavirin.
Bis auf wenige Tage, in denen ich mich richtig gut fühlte, waren die Nebenwirkungen aber insgesamt doch so massiv, dass ich schließlich für einen Zeitraum von acht Wochen krank geschrieben werden musste. Dennoch versuchte ich in der Zeit trotzdem immer wenigstens stundenweise zu arbeiten, um die allernötigsten Arbeiten in der IGH zu erledigen. Meinem Arbeitgeber muss ich an dieser Stelle wirklich ein großes Kompliment machen, weil er für diese schwierige Situation viel Verständnis aufbrachte und mich sehr unterstützte.
Am 13.11.2003 habe ich die letzte Interferon-Spritze gesetzt, am 14.11.2003 die letzten Ribavirin-Tabletten geschluckt.
Inzwischen, mit 14-tägigem Abstand zum Therapieende kann ich sagen, dass der Körper sich langsam regeneriert und ich wieder ein "normaler" Mensch werde.
Die Abgeschlagenheit ist weitestgehend weg, das Schlafbedürfnis normalisiert sich, ich kann so langsam wieder abendliche Termine vereinbaren und vor allem, was mir persönlich am allerwichtigsten ist, das Verhältnis zu meiner Familie normalisiert sich, der "Ausnahmezustand" konnte aufgehoben werden.
Wenn die Therapie, so wie es sich momentan abzeichnet, dauerhaft erfolgreich bleibt, hat zum guten Gelingen zu einem entscheidenden Teil meine Frau beigetragen. Ich habe weiter oben berichtet, dass unser Zusammenleben in der Interferon-Zeit alles andere als einfach war. Dennoch hat sie immer zu mir gehalten und mich aus manchem Tief herausgeholt. Ich weiß nicht, ob ich ohne ihre Hilfe die Therapie durchgehalten hätte. Danke, Karin!!!
Am 10.12.2003 ( also vier Wochen nach Behandlungsende) wird die erste Laborkontrolle durchgeführt, ich bin eigentlich sehr zuversichtlich, dass sie den Therapieerfolg bestätigen wird. Danach werden im Abstand von zwei und dann noch einmal von drei Monaten erneute Kontrollen durchgeführt, so dass man erst sechs Monate nach Therapieende endgültig von Erfolg oder Misserfolg sprechen kann.
Am 10.02.2004 hat die Drei-Monats-Kontrolle stattgefunden. Alle Leberwerte, besonders GPT und GOT sind im unteren Normbereich, die Viruslast ist weiterhin negativ. Inzwischen kann ich mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass die Behandlung erfolgreich verlaufen ist.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich froh bin, die Therapie durchgeführt zu haben. Ich war gut vorbereitet, wusste also, was auf mich zukam und war dennoch unangenehm überrascht, wie heftig die Nebenwirkungen und Begleitumstände der Behandlung waren.
Eine gute medizinische Betreuung, eine fantastische Familie und schließlich auch ein mehr als verständnisvoller Arbeitgeber (danke IGH) haben mir die Begleitumstände erleichtert.
Betroffenen, die vor der Entscheidung stehen, ob sie eine kombinierte Interferon-/ Ribavirinbehandlung beginnen sollen, kann ich nur den dringenden Rat geben, so schnell wie möglich anzufangen. Sie sollten allerdings sich und ihre Familie gut auf die sehr schwierige Zeit während der Behandlung vorbereiten und im Idealfall auch den Arbeitgeber einbeziehen. Wenn dort Verständnis gefunden wird, so nimmt das sehr viel Druck vom Betroffenen, falls er wegen zu heftiger Nebenwirkungen nicht in der Lage ist, seinen beruflichen Verpflichtungen in vollem Umfange nachzukommen.
Wichtig ist auch eine kompetente und vor allem persönliche medizinische Betreuung. Selbst habe ich nach anfänglichen schlechten Erfahrungen in der Leberambulanz meine "Heimat" in der Immunologischen Abteilung der Medizinischen Kliniken der Universität Bonn gefunden. Ich hatte mit Prof. Rockstroh und Frau Dr. Voigt zwei sehr fachkundige und vor allem einfühlsame Ärzte gefunden, die mich in vielen schwierigen Situationen sehr unterstützt haben. Dieses fast persönliche Arzt- / Patientenverhältnis war für mich sehr hilfreich, um auch knifflige private Situationen besprechen und schließlich bewältigen zu können.
Wichtig war auch das Führen dieses Tagebuches. Durch das Niederschreiben meiner ganz persönlichen Erfahrungen mit der Behandlung - oft unmittelbar nach dem Setzen der Spritzen- wollte ich nicht nur meine privaten Empfindungen festhalten, sondern anderen Betroffenen die möglichen Begleitumstände der Behandlung so authentisch wie möglich wiedergeben.
Wenn man mir heute, nach Therapieende die Frage stellen würde, ob ich trotz des Wissens über die Schwierigkeiten der Interferon-Therapie erneut anfangen würde, sage ich ohne Einschränkung: JA!!!
siehe auch:
· Das komplette Interferon-Tagebuch mit allen Einträgen