AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome - "erworbenes Immunmangel Syndrom") wurde erstmals 1981 von der amerikanischen Seuchenüberwachungsbehörde CDC (Centers for Desease Control) beschrieben. 1983 gelang einem französischen Forscherteam unter der Leitung des Virologen Luc Montagnier die Isolierung des Virus und wird HIV (humanes Immundefizienz Virus) genannt. Der menschliche Körper besitzt sogenannteT4-Helferzellen, die in der Lage sind, eindringende Infektionserreger zu erkennen und eine gezielte Abwehr durch Bildung von Antikörpern und zellzerstörenden Zellen einzuleiten und zu steuern. Genau auf diese Helferzellen (auch Freßzellen genannt) haben es die HI-Viren abgesehen. Nach dem Eindringen in den Körper infiziert das Virus die Oberflächenmoleküle der Helferzellen und verhindert somit eine wirksame Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Der Körper ist somit schutzlos allen Krankheitserregern ausgeliefert, das Immunsystem wird vollständig zerstört.
Im Juni 1982 wurde in Deutschland der erste AIDS-Fall bei einem Bluter registriert. Es gab bereits vorher Hinweise der amerikanischen Seuchenbehörden, daß die Hämophilen eine besonders gefährdete Betroffenengruppe darstellen. Erste amerikanische Untersuchungen ergaben, daß das HI-Virus ähnlich wie die Hepatitis-Viren durch Blut und Blutprodukte übertragen wurden. Spätestens im Dezember 1982 hätten zum Schutze der Hämophilen unverzüglich Vorsorgemaßnahmen eingeleitet werden müssen. Ausgerechnet über das Bundesgesundheitsblatt wurde die deutsche Ärzteschaft und das Krankenpflegepersonal am 12. Dezember 1982 über den aktuellen Sachstand bei AIDS informiert. Es wurde detailliert darauf hingewiesen, daß die Übertragungswege ähnlich dem des Hepatitis-Virus verliefen, nämlich über Blut und Blutprodukte. Ausdrücklich wurden Ärzte und Pflegepersonal aufgefordert, alle Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen, die eine Infektion verhindern, z.B. Tragen von Handschuhen und Mundschutz. Außerdem wurde darauf verwiesen, daß Empfänger von Faktoren-Konzentraten, also Bluter eine besonders gefährdete Risikogruppe darstellten. Der Schutz der Hämophilen wurde mit keinem Wort erwähnt noch wurden Vorsorgemaßnahmen ergriffen.
Trotz der Kenntnis, daß bereits zum 18.6.1983 in den USA 15 AIDS-Erkrankungen unter Blutern bekannt waren und daß 90% aller in Deutschland vertriebener Faktorenkonzentrate aus Blutbeständen der USA stammen, stellte das BGA am 12.8.1982 fest, daß ein Einfuhrverbot derzeit nicht in Betracht gezogen werde. In einer vom Bundesgesundheitsamt einberufenen Krisensitzung diskutierten am 14. November 1983 Ärzte, Pharmaunternehmer und Patientenvertreter das Risiko einer AIDS-Übertragung durch Blutprodukte und beschlossenen gegen den Willen der Patientenvertreter, daß das Risiko einer Infektion als sehr niedrig einzuschätzen sei. Die vom BGA und den Patientenvertretern geforderte generelle Verwendung von hitzesterilisierten Produkten und der gleichzeitige Rückruf nicht inaktivierter Faktorenkonzentrate wurde wegen drohender Unterversorgung abgelehnt, ebenso ein Importverbot.
Zwischen 1983 und 1984 stellten 12 deutsche Hämohiliebehandler ihre Patienten auf hitzeinaktivierte Produkte um. Im Juni 1984 ordnete das BGA endlich AIDS-Warnhinweise auf Blutprodukten an, das Deutsche Rote Kreuz und die Pharmahersteller erhoben wegen unnötiger Verunsicherung der Patienten hiergegen Einspruch. Das Deutsche Rote Kreuz legte eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Leiter des BGA wegen "des Verdachts der ungesetzlichen Amtsführung durch gemeingefährliche und fachlich unqualifizierte Eingriffe in die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung" ein. Erst im Dezember 1984 ordnete das BGA ab März 1985 gültige Hitzeinaktivierung an und beschloß, daß ab Juli 1985 HIV-Tests bei Blutspendern durchzuführen sind. Im März 1988 empfahl die Deutsche Hämophiliegesellschaft ihren Mitgliedern, ein Angebot von Herstellern von Faktor-Präparaten auf finanzielle Entschädigung anzunehmen, um langwierige Prozesse zu vermeiden. Allerdings mußten sich die Bluter bereit erklären, nach Annahme des Angebots auf jegliche Rechtsmittel zu verzichten. Gleichzeitig mußten sie eine Abfindungserklärung unterschreiben.
Im Laufe der folgenden Jahre wurden dann immer mehr Einzelheiten bekannt, die auf ein schuldhaftes Fehlverhalten staatlicher Behörden, pharmazeutischer Industrie, des DRK und der Ärzte in den 80iger Jahren hinwiesen. Auf Betreiben der Interessengemeinschaft Hämophiler wurden deshalb 1992 Gespräche mit dem Bundesgesundheitsministerium aufgenommen, um Schmerzensgeldzahlungen für die insgesamt 1.846 infizierten Bluter durchzusetzen.
Am 2. Februar 1993 fand eine öffentliche Anhörung vor dem Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages zum Blut-AIDS-Skandal statt.
Am 27. Mai 1993 brach das Bundesministerium für Gesundheit dann plötzlich die Verhandlungen mit dem Hinweis auf die Nichtzuständigkeit ab.
Erst nachdem der AIDS-infizierte IGH-Vorsitzende Wilfried Breuer vor dem Landgericht Aachen am 23. August 1993 eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Aufsichtspflichtverletzung einreichte und diese Klage überregionale Berichterstattung in allen Medien nach sich zog, erklärte sich das BMG zur Wiederaufnahme der Verhandlungen bereit.
Nach einer Beratung im Deutschen Bundestag sicherte der Bundesgesundheitsminister Seehofer den betroffenen Blutern seinen persönlichen Einsatz zu und versprach eine schnelle Regelung. Am 13. Oktober 1993 erklärte Minister Seehofer die Auflösung des Bundesgesundheitsamtes und versetzte den Leiter, Dieter Großklaus und den Abteilungsleiter, Prof. Manfred Steinbach, in den vorläufigen Ruhestand. Durch Presseberichte war Seehofer auf grobe Versäumnisse des BGA bei der Behandlung der AIDS-Verdachtsfälle von Blutern Anfang der 80er Jahre aufmerksam gemacht worden.
Am 28. November 1993 wurde die Koblenzer Firma UB-Plasma, die in großem Stile aidsverseuchte Blutkonserven und Blutplasma vertrieben hatte geschlossen und gleichzeitig zwei Führungskräfte der Firma dem Haftrichter vorgeführt. Durch Recherchen der Interessengemeinschaft Hämophiler konnte nachgewiesen werden, daß die Firma vorgeschriebene HIV-Testungen überhaupt nicht oder nur sehr unregelmäßig durchgeführt hatte, um ihre Gewinne zu erhöhen. Gleichzeitig wurde bekannt, daß das Rote Kreuz in Hagen (NRW) nicht über AIDS-verseuchte Blutspenden informiert hatte und sich hierdurch in zehn Fällen Patienten durch Frischblut mit dem HI-Virus infiziert hatten. In Bayern mußte das Bayerische Rote Kreuz zugeben, HIV-infiziertes Spenderblut aus der ehemaligen DDR eingeführt und weiterverarbeitet zu haben. Durch Verabreichung von HIV-infiziertem Blutgerinnungsmittel PPSB (ein Gemisch von Blutplasma) der Firma Biotest wurden seit 1990 elf Patienten infiziert.
Alle diese Vorgänge belegten die Behauptungen der Interessengemeinschaft Hämophiler, daß das ehemalige Bundesgesundheitsamt ihre Kontrollpflicht nicht oder nur ungenügend wahrgenommen hatte...
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